Wir hatten zuletzt mit unserem Newsletter Arbeitsrecht vom 30.11.2022 zu der neuen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs vom 22.09.2022 (Az. C-120/21) informiert, wonach der Jahresurlaub des Arbeitnehmers dann nicht verfallen kann, wenn der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten (Aufforderung, den Jahresurlaub im laufenden Kalenderjahr zu nehmen) nicht nachkommt.
Zwischenzeitlich hat das Bundesarbeitsgericht zu dieser Thematik weitere Entscheidungen getroffen, die sich insbesondere auch mit der Frage befassen, zu welchem Zeitpunkt ein Arbeitgeber die Belegschaft über die Inanspruchnahme des Jahresurlaubs informieren und darauf hinwirken muss, dass die Arbeitnehmer den Urlaub auch in Anspruch nehmen.
Das BAG hat mit der Entscheidung vom 31.01.2023 - 9 AZR 107/20 nunmehr in Bezug auf den Zeitpunkt der Unterrichtungspflicht des Arbeitgebers Klarheit geschaffen.
Anders als zuvor angenommen, muss der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über den Bestand und die Inanspruchnahme des Urlaubs nicht erst im Laufe des Kalenderjahres informieren, sondern unverzüglich nach der Entstehung des jeweiligen jährlichen Urlaubsanspruches.
Dazu muss man wissen, dass der volle Urlaubsanspruch gemäß § 4 BUrlG nach 6-monatigem Bestehen des Arbeitsverhältnisses jeweils am 1. Januar eines Kalenderjahres entsteht. Theoretisch kann also der Arbeitnehmer den vollen Jahresurlaub bereits Anfang des Jahres in Anspruch nehmen.
Ausgehend von dieser gesetzlichen Regelung hat das BAG am 31.01.2023 entschieden, dass der Arbeitgeber unverzüglich nach Beginn des Urlaubsjahres seiner Mitwirkungspflicht nachkommen muss, also alle Arbeitnehmer schriftlich über den Bestand des jeweiligen Jahresurlaubs, dessen Inanspruchnahme im laufenden Kalenderjahr und die Rechtsfolgen bei Nichtinanspruchnahme des Urlaubs informieren muss.
Unverzüglich bedeutet im juristischen Sinne „ohne schuldhaftes Zögern“. Dieser unbestimmte Rechtsbegriff wird von dem Bundesarbeitsgericht zeitlich mit einer Kalenderwoche bemessen. Für die Festlegung des Zeitpunkts der Unterrichtungspflicht des Arbeitgebers gegenüber der Belegschaft bedeutet das, dass der Arbeitgeber ohne Vorliegen besonderer weiterer Umstände (wie etwa Betriebsferien zum Jahresbeginn) spätestens nach Ablauf der 1. Kalenderwoche die Belegschaft schriftlich über die Urlaubskonstellation unterrichten muss.
Wird diese Pflicht verletzt, ergeben sich insbesondere dann Konsequenzen für Urlaubsansprüche von Arbeitnehmern, die zu Beginn oder im Laufe des Kalenderjahres langfristig erkranken.
Beispiel:
Ein Arbeitnehmer, der am 01.01.2016 bereits mehr als 6 Monate im Arbeitsverhältnis stand, also einen vollen Jahresurlaubsanspruch hatte, erkrankte ab dem 18.01.2016 und blieb durchgehend arbeitsunfähig erkrankt bis zur Aufhebung des Arbeitsverhältnisses am 07.02.2019.
Im Prozess vertrat er die Auffassung, dass trotz der durchgehenden krankheitsbedingten Fehlzeit der Urlaubsanspruch aus dem Jahr 2016 nicht nach 15 Monaten (gemäß der bis dahin geltenden BAG-Rechtsprechung) mit Ablauf des 31.03.2018 erloschen sei, weil die Arbeitgeberin ihn nicht durch rechtzeitige Erfüllung ihrer Mitwirkungsobliegenheiten in die Lage versetzt habe, Urlaub tatsächlich in Anspruch zu nehmen.
Das BAG hat in der Entscheidung vom 31.01.2023 festgehalten, dass bei durchgehender Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers in einem Kalenderjahr der Urlaubsanspruch mit Ablauf des 31.03. des 2. auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres verfällt.
Demgegenüber kann ein Urlaubsanspruch aus einem Kalenderjahr, in dessen Verlauf der Arbeitnehmer tatsächlich gearbeitet hat (hier lediglich vom 02.01. bis 17.01.2016), bevor der Arbeitnehmer auf Grund einer seitdem fortbestehenden Krankheit arbeitsunfähig geworden ist, nur dann nach Ablauf des Übertragungszeitraumes von 15 Monaten erlöschen, wenn der Arbeitgeber seiner Unterrichtungspflicht rechtzeitig nachgekommen ist.
Als rechtzeitig galt mit Blick auf die Definition des Begriffes „unverzüglich“ der Sonntag, 10.01.2026.
Zwischen dem 10.01. und dem 18.01.2016 liegen 5 Arbeitstage, die als Urlaub von dem Arbeitnehmer theoretisch hätten genommen werden können. Für den Verfall des Urlaubs bedeutet dies, dass diese 5 Tage infolge der ab dem 18.01.2016 beginnenden und dann dauerhaft anhaltenden Arbeitsunfähigkeit infolge unterbliebener Mitwirkung des Arbeitgebers nicht verfallen. Die restlichen 25 Urlaubstage des Gesamturlaubsanspruches von 30 Urlaubstagen für 2016 waren aber verfallen, da mit Blick auf die zeitnahe Erkrankung des Arbeitnehmers zum Jahresbeginn keine Kausalität zwischen der verletzten Mitwirkungspflicht und der Inanspruchnahmemöglichkeit des Urlaubs bestanden hat.
Die vorstehend berechnete Verfalltechnik wird die Arbeitsgerichtsbarkeit nunmehr bei derartigen Fallgestaltungen anwenden. Es handelt sich aus Sicht des Unterzeichnenden um eine sehr diffizile, ja geradezu subtile Anwendung einer nicht im Gesetz verankerten Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers, die dahin geht, dem Arbeitnehmer zu verdeutlichen, dass er einen sowohl im Arbeitsvertrag bzw. im Gesetz verankerten Urlaubsanspruch hat und diesen im laufenden Kalenderjahr nehmen muss. Verstehen muss man diese Entscheidung nicht. Gleichwohl ist sie für Jedermann anwendbar.
Michael Koch
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Rechtsanwalt
Stephanie Neblung
Fachanwältin für Arbeitsrecht
Rechtsanwältin
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