Sehr geehrte Damen und Herren,
jeder Versicherungsnehmer der privaten Krankenversicherung kennt die fast jährlich verschickten Briefe der Versicherer, in denen mitgeteilt wird, dass der Beitrag mal wieder steigt, da die Kosten im Gesundheitswesen ebenfalls gestiegen sind. Meist sind die Begründungen jedoch sehr allgemein gehalten oder für den Versicherungsnehmer so unklar formuliert, dass die Tariferhöhungen unwirksam sind. Dies hat auch der BGH gesehen, sodass es sich durchaus lohnt, zu prüfen, ob die Begründung der Tariferhöhung den gesetzlichen Vorgaben entspricht.
I. Gründe für eine unwirksame Beitragserhöhung
Eine Tariferhöhung kann unter anderem deshalb unwirksam sein, weil
der Tarifbeitrag bei Abschluss des Vertrages zu niedrig kalkuliert wurde,
der gesetzlich vorgegebene Schwellenwert der Krankheitskosten sowie der Sterbewahrscheinlich nicht überschritten wurde.
1. Unzureichende Begründung
Der BGH hat sich in den letzten Jahren in mehreren Entscheidungen mit der Problematik der ausreichenden Begründung einer Prämienerhöhung beschäftigt.[1]
Rechtsgrundlage einer wirksamen Prämienerhöhung ist hierbei der § 203 Abs. 2 und 5 Versicherungsvertragsgesetz (VVG).
Danach ist eine Prämienanpassung erst durch die Mitteilung der Neufestsetzung oder Änderung und der hierfür maßgeblichen Gründe an den Versicherungsnehmer wirksam. So erfordert die Mitteilung der maßgeblichen Gründe für die Neufestsetzung der Prämie die Angabe der Rechnungsgrundlage, deren nicht nur vorübergehende Veränderungen die Neufestsetzung veranlasst hat.
Die Begründung erfordert hingegen nicht, in welcher Höhe sich diese Rechnungsgrundlage verändert hat sowie die Mitteilung weiterer Faktoren, welche die Prämienhöhe beeinflussen, wie zum Beispiel der Rechnungszins.
Nicht ausreichend ist hingegen dem Versicherungsnehmer lediglich die Änderungen in der Form mitzuteilen, dass die allgemeinen Versicherungsbedingungen und Tarifbestimmungen übersendet werden.
Vielmehr ist eine auf die konkrete Prämienanpassung bezogene Begründung erforderlich, in der anzugeben ist, bei welcher Rechnungsgrundlage die Veränderung, welche die Prämienanpassung ausgelöst hat, eingetreten ist.
a. Rechnungsgrundlage
Maßgebliche Rechnungsgrundlagen sind gesetzlich in § 203 Abs. 2 S. 3 VVG vorgegeben. Diese sind die Versicherungsleistungen und die Sterbewahrscheinlichkeit.
Das Versicherungsunternehmen ist verpflichtet jährlich den kalkulierten Tarif mit den kalkulierten Versicherungsleistungen zu vergleichen. Ergibt der Tarif eine Abweichung von mehr als 10 %, sofern in den allgemeinen Versicherungsbedingungen kein geringerer Prozentsatz vorgegeben ist, hat der Versicherer die Prämien zu überprüfen und entsprechend anzupassen. Entscheidend ist daher nur, ob eine Veränderung der erforderlichen gegenüber den kalkulierten Versicherungsleistungen oder Sterbewahrscheinlichkeiten eingetreten ist und die in § 155 Abs. 3 und 4 Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) oder in den allgemeinen Versicherungsbedingungen geregelten Schwellenwerte dadurch überschritten sind.
Stellt der Versicherer daher fest, dass die Leistungsausgaben des Krankenversicherers gestiegen sind, dies insbesondere auch im Zusammenhang mit der Lebens-bzw. Sterbewahrscheinlichkeit, so ist im nächsten Schritt zu überprüfen, ob dadurch auch die Schwellenwerte überschritten sind. Während das Gesetz einen Schwellenwert von 10 % angibt, kann dieser jedoch aufgrund der allgemeinen Versicherungsbedingungen auch niedriger angesetzt werden.
Die konkrete Höhe der Veränderung dieser Rechnungsgrundlage ist nicht entscheidend. Die Überprüfung der Prämie wird ausgelöst, sobald der Schwellenwert überschritten ist; dabei kommt es jedoch nicht darauf an, in welchem Umfang er überschritten wird.
b. Maßgebliche Gründe
Nach dem Gesetzeswortlaut muss die Mitteilung der Prämienanpassung die Angabe der hierfür maßgeblichen Gründe angeben. Damit bezieht sich die Mitteilung auf die konkret in Rede stehende Prämienanpassung. Eine allgemeine Mitteilung, die nur die gesetzlichen Voraussetzungen der Beitragserhöhung wiedergibt, genügt danach nicht.
Aus dem Wort „maßgeblich“ ergibt sich, dass nicht alle Gründe genannt werden müssen, sondern nur die für die Prämienanpassung entscheidenden Umstände. Entscheidend dürfte dabei lediglich die Veränderung der erforderlichen gegenüber den kalkulierten Versicherungsleistungen sein.
c. Welche Begründung reicht aus?
Entschieden hat der BGH bislang, dass ein allgemein gehaltenes Informationsschreiben zur Beitragsanpassung, in dem die jährliche Durchführung der Prämienüberprüfung, ohne konkretes Ergebnis der aktuellen Überprüfung, nicht ausreicht. Der Versicherungsnehmer kann daraus nicht den Schluss ziehen, dass auch für ihn die beschriebene gesetzliche Voraussetzung einer Prämienerhöhung eingetreten ist.
Allgemeine Hinweise zum Anstieg medizinischer Kosten reichen ebenfalls nicht aus, wenn für den Versicherungsnehmer nicht ersichtlich ist, dass diese Erhöhung sich auch konkret auf seinen Beitrag auswirkt.
Ausreichend dürfte hingegen sein, wenn die Prämienanpassung damit begründet wird, dass es zu einer Abweichung der erforderlichen von den kalkulierten Leistungsausgaben, d. h. den Versicherungsleistungen gekommen ist und dies insbesondere auch konkret den Tarif des Versicherungsnehmers betrifft. Für den Versicherungsnehmer ist dann ersichtlich, dass die Rechnungsgrundlage sich dadurch geändert hat, dass sich die Leistungen erhöht haben und sich dies auch auf den Tarif des Versicherungsnehmers und den errechneten Beitrag auswirkt.
Die konkrete Höhe sowie der Rechnungszins sind nicht anzugeben.
Entscheidend ist daher, ob die Informationsschreiben allgemein gehalten sind und für den Versicherungsnehmer damit auf den ersten Blick nicht ersichtlich ist, ob dies auch für seinen Tarif und für seine Prämie zutrifft.
III. Zu niedrig kalkulierter Beitrag bei Abschluss des Vertrages
Die Krankenversicherer sind verpflichtet nach § 155 Abs. 3 VAG eine jährliche Überprüfung des kalkulierten mit den erforderlichen Versicherungsleistungen durchzuführen und den kalkulierten Tarif entsprechend anzupassen.
Haben die Versicherer jedoch, ausschließlich um Neukunden zu werben, die Prämie im ersten Jahr bewusst niedrig kalkuliert und erhöhen diese im Folgejahr, um auf eine ausreichende Berechnungsgrundlage zu kommen, so kann dies ein deutliches Indiz dafür sein, dass die Beitragserhöhung bereits zu Beginn zu niedrig kalkuliert wurde. Nach § 155 Abs. 3 S. 4 VAG ist eine Anpassung in diesem Fall unwirksam, da zum Zeitpunkt der Erst- oder Neukalkulation unzureichend kalkuliert wurde und dies bei ordentlicher und gewissenhafter Prüfung anhand der zu diesem Zeitpunkt verfügbaren statistischen Kalkulationsgrundlagen hätte erkannt werden müssen.
Erhöht der Krankenversicherer daher bereits im zweiten Jahr seine Beiträge deutlich, so kann dies auf die Unwirksamkeit der Beitragserhöhung hinweisen.
IV. Schwellenwert
In § 155 Absatz 3VAG ist geregelt, dass eine Erhöhung des kalkulierten Tarifes nur dann zulässig ist, wenn es zu einer Abweichung der Versicherungsleistungen oder der Sterbewahrscheinlichkeit der Versicherten kommt. Das Gesetz schreibt hierbei eine Erhöhung um mehr als 10 % über den kalkulierten Ausgaben vor. Abweichungen der gesetzlichen Vorgaben können jedoch durch die allgemeinen Versicherungsbedingungen auch zulasten des Versicherungsnehmers geregelt werden, sodass eine Erhöhung der Kosten von weniger als 10 % bereits eine Beitragserhöhung rechtfertigen kann.
Hier empfiehlt es sich zu prüfen, ob die allgemeinen Versicherungsbedingungen den gesetzlichen Schwellenwert reduziert haben.
Da die Krankenversicherer jedoch nicht verpflichtet sind, in der Begründung zur Beitragserhöhung die Höhe der Berechnungsgrundlagen anzugeben, sollte der Versicherungsnehmer den Versicherer dahingehend anschreiben und die neu kalkulierten Kosten anfordern. Erst dann kann überprüft werden, ob der Schwellenwert erreicht ist.
Sind die gesetzlichen oder durch allgemeine Versicherungsbedingungen geregelten Schwellenwerte nicht erreicht, so ist eine Erhöhung der Tarifbeiträge unwirksam.
V. Verjährung
Der BGH hatte zwischenzeitlich auch entschieden, dass zu Unrecht erhöhte Prämienbeiträge innerhalb der Regelverjährungsfrist von 3 Jahren zurückgefordert werden können.[2] Hierbei beginnt die Regelverjährung mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist.
Im Ergebnis können daher alle bislang erfolgten unwirksamen Beitragserhöhungen für Beiträge ab 2019 bis zum Schluss des Jahres 2022 gerichtlich geltend gemacht werden. Damit können auch Beitragserhöhungen vor 2019, jedoch nur für daraus noch erhöhte Beiträge ab 2019 zurückgefordert werden.
Erhöhte Beitragszahlungen vor 2019 sind jedoch nach der Entscheidung des BGH bereits verjährt.
Daher lohnt sich ein Blick in die Informationsschreiben sämtlicher Beitragserhöhungen.
Für weitere Rückfragen stehen wir Ihnen selbstverständlich jederzeit zur Verfügung. Gerne unterstützen wir Sie bei der Prüfung der Schreiben Ihrer Krankenversicherung und der anschließenden Rückforderung der Beitragserhöhungen.
[1] BGH, Urteil vom 16.12.2020 – IV ZR 294/19; BGH, Urteil vom 10.03.2021 – IV ZR 353/19; BGH, Urteil vom 14.04.2021 – IV ZR 36/20.
[2] BGH, Urteil vom 17.11.2021 – IV ZR 113/20.
Für weitere Rückfragen und Unterstützung zur Umsetzung stehen wir selbstverständlich jederzeit gern zur Verfügung.
mitgeteilt von
Michael Koch
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Rechtsanwalt
Stephanie Has
Fachanwältin für Arbeitsrecht
Rechtsanwältin
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