Sperrzeit nach Tätigkeitsverbot wegen einrichtungsbezogener Impfpflicht

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

Seit dem 16.03.2022 gilt die einrichtungsbezogene Impfpflicht im gesamten Gesundheitswesen. Für Beschäftigte, welche weder einen Impf- noch Genesenennachweis oder einen Nachweis über eine medizinische Kontraindikation vorlegen können, droht daher der Ausspruch eines Tätigkeitsverbotes durch das Gesundheitsamt (zu den Voraussetzungen des Tätigkeitsverbotes und dem Verfahren der Gesundheitsämter siehe ausführlich in unserem Newsletter vom 07.03.2022, https://www.koch-boikat.de/blog/). Für die Arbeitnehmer stellt sich spätestens mit Verhängung des Tätigkeitsverbotes die Frage, inwieweit der Lohnanspruch sozialversicherungsrechtlich durch die Gewährung von Arbeitslosengeld abgesichert ist. Die Unterzeichner setzen sich daher im Folgenden mit der Frage auseinander, ob ein Arbeitslosengeldanspruch sowohl während des laufenden Arbeitsverhältnisses nach Ausspruch des Tätigkeitsverbotes sowie nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund der fehlenden Beschäftigungsmöglichkeit im Gesundheitswesen besteht.

 

I. Arbeitsrechtliche Folgen eines Tätigkeitsverbotes

 

Legen Beschäftigte auch nach erneuter Aufforderung des Gesundheitsamtes keinen 2G-Nachweis vor, so kann das Gesundheitsamt ein Beschäftigungs-, Tätigkeits- bzw. Betretungsverbot anordnen. Ein solches Verbot führt für den betroffenen Arbeitnehmer zur Unmöglichkeit der Erbringung der Arbeitsleistung nach § 275 Abs. 1 BGB, sofern dieser nicht in einem anderen Betrieb des Arbeitgebers beschäftigt werden kann, welcher nicht der einrichtungsbezogenen Impfpflicht unterliegt. Der Arbeitgeber darf dann die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers nicht mehr annehmen.

 

Kann die Arbeitsleistung aufgrund des ausgesprochenen Tätigkeitsverbotes tatsächlich nicht erbracht werden, so kommt der Grundsatz „ohne Arbeit kein Lohn“ zur Anwendung und der Lohnanspruch des Arbeitnehmers entfällt nach § 326 Abs. 1 S. 1 BGB.

 

Erbringt der Arbeitnehmer darüber hinaus dauerhaft keinen 2G-Nachweis, so besteht nach Ansicht in der Literatur sowie nach dem Bundesministerium für Gesundheit Einigkeit darüber, dass selbst die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses begründet ist.[1]

 

II. Arbeitslosengeldanspruch

 

Wurde das Arbeitsverhältnis nach Anordnung eines Tätigkeitsverbotes jedoch nicht gekündigt, sondern liegt lediglich der Fall der fehlenden Beschäftigungsmöglichkeit vor, stellt sich die Frage, ob dieser Lohnausfall sozialversicherungsrechtlich durch einen Arbeitslosengeldanspruch aufgefangen wird.

 

Der Anspruch auf Arbeitslosengeld nach § 137 Abs. 1 SGB III liegt vor, wenn der Arbeitnehmer arbeitslos ist, er sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet hat und die Anwartschaftszeit erfüllt ist.

 

1. Arbeitslosigkeit = Beschäftigungslosigkeit 

 

Nach § 138 Abs. 1 Nr. 1 SGB III ist der Arbeitnehmer arbeitslos, welcher in keinem Beschäftigungsverhältnis steht und daher als beschäftigungslos anzusehen ist. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes ist von einer Beschäftigungslosigkeit auszugehen, wenn der Versicherte trotz Fortbestands des Arbeitsverhältnisses tatsächlich nicht mehr beschäftigt wird, weil der Arbeitgeber sein Direktionsrecht dauerhaft nicht mehr beansprucht und/oder der Arbeitnehmer sich diesem nicht mehr unterwirft.[1] Dies kann auch bei einer unwiderruflichen Freistellung oder dem Ausspruch des Tätigkeitsverbotes der Fall sein. Der impfunwillige Arbeitnehmer hat bereits dem Grunde nach keinen Beschäftigungsanspruch, weil er die Tätigkeit aufgrund des angeordneten Tätigkeitsverbotes dauerhaft nicht mehr ausüben kann (Voraussetzung für ALG I erfüllt).

 

2. Arbeitslosmeldung bei der Agentur für Arbeit

 

Der Arbeitnehmer ist darüber hinaus verpflichtet, sich bei der Agentur für Arbeit elektronisch über das von der Bundesagentur für Arbeit zur Verfügung gestellte Portal oder persönlich arbeitslos zu melden. Dies wird der Arbeitnehmer spätestens mit der Zustellung des Verbotsbescheides tun.

 

[1] BSG, 12.09.2019, B 11 AL 20/18 R.

 

[1] BeckOK-IfSG/Alibe, 10 Ed. (15.1.2022, § 20 a Rn. 164; Oltmanns, NZA-RR 2022, 57, 58; Fuhlrott, GWR 2022, 22, 24; Harländer/Otte, NZA 2022, 160, 163.

[1] BSG, 12.09.2019, B 11 AL 20/18 R.

 

3. Erfüllung der Anwartschaftszeit

 

Die dritte Voraussetzung ist die Erfüllung der Anwartschaftszeit. Hierbei ist es erforderlich, dass der Arbeitnehmer innerhalb einer Rahmenfrist von 30 Monaten mindestens 12 Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat. Im Ergebnis müsste daher für mindestens 12 Monate sozialversicherungspflichtiges Arbeitsentgelt dem Arbeitnehmer zugestanden haben, sodass die Anwartschaftszeit erfüllt ist.

 

Zwischenfazit: Beschäftigte, die als Impfverweigernde deshalb ihren Job verloren haben oder wegen behördlichen Tätigkeitsverbot ohne Lohnzahlung freigestellt sind, haben grundsätzlich einen Anspruch auf ALG I; sie stehen der Arbeitsvermittlung zur Verfügung, können auf dem Arbeitsmarkt (in anderen Bereichen) vermittelt werden.

 

4. Sperrzeit

 

Dem Arbeitslosengeldanspruch kann jedoch eine Sperrzeit entgegenstehen, die die Bundesagentur verhängt. Nach § 159 Abs. 1 S. 2 Nr. 1, 1. Alt SGB III ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld, wenn der Arbeitnehmer die Arbeitslosigkeit durch versicherungswidriges Verhalten herbeigeführt hat.

 

Arbeitsvertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers

 

Grundsätzlich handelt es sich bei der Entscheidung, sich nicht gegen das Corona-Virus impfen zu lassen, um eine persönliche Entscheidung, welche den privaten Bereich des Arbeitnehmers betrifft. Ein privates Verhalten wirkt sich erst dann auch arbeitsrechtlich aus, wenn tatsächlich eine vertragliche oder gesetzliche Verpflichtung besteht, sich impfen zu lassen. Der Arbeitnehmer ist dann aufgrund der arbeitsvertraglichen Nebenleistungspflicht aus § 241 Abs. 2 BGB verpflichtet, sich so zu verhalten, dass seine Fähigkeit zur Erbringung der Arbeitsleistung erhalten bleibt.

 

Das Fehlen einer Corona-Impfung hat jedoch aufgrund der einrichtungsbezogenen Impfpflicht im Gesundheitswesen nicht nur Auswirkungen für den privaten Bereich, sondern auch für das Arbeitsverhältnis selbst. Aufgrund des Verhaltens des Arbeitnehmers ist dieser damit auch für den Eintritt der Unmöglichkeit der Erbringung der Arbeitsleistung verantwortlich. Begründet wird dies unter anderem auch damit, dass dem Arbeitnehmer durch den Gesetzgeber eine Übergangsfrist bis zum 15.03.2022 eingeräumt wurde und diesem die Folge eines Tätigkeitsverbotes durch das Verstreichenlassen der Frist samt der damit verbundenen Störung des Vertragsverhältnisses bekannt war. Mit der Anordnung eines Tätigkeitsverbotes muss der Arbeitnehmer somit davon ausgehen, dass die Sperrzeit das Verschuldenserfordernis erfüllt, da die Arbeits- bzw. Beschäftigungslosigkeit des Arbeitnehmers vorsätzlich oder mindestens grob fahrlässig herbeigeführt wurde.[3]

 

5. Impfverweigerung als wichtiger Grund versicherungswidrigen Verhaltens?

 

Auf der anderen Seite handelt es sich jedoch bei einer Impfung um einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Art. 2 Abs. 2, S. 1 GG, sodass darin ein wichtiger Grund für das versicherungswidrige Verhalten vorliegen könnte.

 

Bei der Prüfung eines wichtigen Grundes ist jedoch eine Abwägung der Interessen des Arbeitnehmers und der Versichertengemeinschaft vorzunehmen. Während das Recht auf körperliche Unversehrtheit sowie das allgemeine Persönlichkeitsrecht dafür sprechen, dass jeder Arbeitnehmer frei darüber entscheiden kann, ob er sich impfen lässt, so spricht gegen einen wichtigen Grund, dass der Gesetzgeber in § 20 a IfSG bereits selbst erkannt hat, dass hier ein Grundrechtseingriff vorliegt, jedoch den Schutz der vulnerablen Gruppen als höher betrachtet, sodass die spezielle einrichtungsbezogene Impfpflicht über den Grundrechten der Arbeitnehmer steht, welche eine Impfung verweigern.

 

Mangels einer abschließenden Stellungnahme seitens des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales sowie der Bundesagentur für Arbeit, bleibt abzuwarten, ob aufgrund einer fachlichen Weisung der Bundesagentur für Arbeit die Problematik geregelt wird.

 

[3] Gräf, NZS 2022, 175, 179.

 

III. Dauer des Arbeitslosengeldanspruches und Folgen einer Sperrzeit

 

Erfüllt der Arbeitnehmer die Anwartschaftszeit von 12 Monaten nicht, so ist ein Anspruch auf Arbeitslosengeld von vornherein nicht gegeben. Besteht das versicherungspflichtige Arbeitsverhältnis länger als 12 Monate so verlängert sich der Anspruch auf Arbeitslosengeld anteilig gemäß § 147 Abs. 2 SGB III. Je nach Alter des Arbeitnehmers kann hier ein Arbeitslosengeldanspruch von bis zu 24 Monaten gegeben sein.

 

Sollte die Agentur für Arbeit tatsächlich zu dem Ergebnis kommen, dass hier eine Sperrzeit zu verhängen ist, so beträgt die Regelsperrzeit 12 Wochen. Generell kann diese jedoch wegen besonderer Härte gekürzt werden. Jedoch ist auch hier eine Einzelfallbewertung erforderlich.

 

Die seitens der Agentur für Arbeit angeordnete Sperrzeit bewirkt jedoch eine Verschiebung sowie Verkürzung des Anspruchszeitraums. Die Sperrzeit verschiebt den ALG-Auszahlungszeitraum im Regelfall um 12 Wochen. Außerdem verkürzt sich bei der Sperrzeit der Gesamtanspruch auf Arbeitslosengeld um den Zeitraum der Sperre, mindestens jedoch um ein Viertel der Anspruchsdauer.

 

Ebenfalls führt die Sperrzeit auch dazu, dass ein erworbener Anspruch auf Grundsicherung nach dem SGB II (Hartz IV) gemindert wird.

 

IV. Fazit

 

Die Verweigerung einer Corona-Impfung trotz einrichtungsbezogener Impfpflicht führt nach Anordnung eines Tätigkeitsverbotes durch das Gesundheitsamt zur Unmöglichkeit der Erbringung der Arbeitsleistung. Der Arbeitnehmer hat somit auch keinen Lohnanspruch. Während generell davon auszugehen ist, dass die Voraussetzungen eines Arbeitslosengeldanspruches vorliegen, ist abzuwarten, ob die Bundesagentur für Arbeit die Voraussetzungen einer Sperrzeit annimmt oder hier aufgrund der besonderen Härte sowie insbesondere den bestehenden Grundrechtseingriff einen wichtigen Grund annimmt, welcher gegen die Anordnung einer Sperrzeit spricht.

 

Sobald die ersten Tätigkeitsverbote durch die Gesundheitsämter verhängt werden, ist auch die Bundesagentur für Arbeit gefordert und muss entscheiden, ob sich das Verhalten der Arbeitnehmer tatsächlich auf das Sperrzeitrecht auswirkt.

 

Damit stehen für den impfverweigernden Arbeitnehmer folgende erhebliche berufliche und finanzielle Risiken im Raum:

 

  • Anordnung eines Tätigkeitsverbotes durch das Gesundheitsamt
  • Verhängung einer Sperrzeit mit der Folge der Verschiebung und der Verkürzung des Anspruchszeitraums
  • Minderung des Anspruches auf Hartz IV nach SGB II
  • Verhängung einer Geldbuße wegen Nichtvorlage/Falschvorlage eines 2G- Nachweises.

 

Dies sollte für den Arbeitgeber und Arbeitnehmer Anlass dafür sein, im Rahmen ihrer Anhörung im Verwaltungsverfahren des Gesundheitsamtes, intensiv nach Beschäftigungsalternativen zu suchen, damit eine einrichtungsbezogene Impfflicht verhindert werden kann.

Für weitere Rückfragen und Unterstützung zur Umsetzung stehen wir selbstverständlich jederzeit gern zur Verfügung.  

 

mitgeteilt von

Michael Koch

Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt

Stephanie Has

Fachanwältin für Arbeitsrecht

Rechtsanwältin