Sehr geehrte Damen und Herren,
für den Arbeitnehmer ist es immer noch die einfachste Möglichkeit sich der Arbeitsverpflichtung zu entziehen, indem dieser eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung beim Arbeitgeber vorlegt. Oftmals folgt diese, wenn das Arbeitsverhältnis dem Ende zugeht. Für den Arbeitgeber bleibt regelmäßig nichts anderes übrig, als die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu akzeptieren und die Entgeltfortzahlung zu leisten. Das Bundesarbeitsgericht hat jedoch in seinen jüngsten Entscheidungen dem Arbeitnehmer nun einige Hürden in den Weg gelegt. Wir möchten im Folgenden drei aktuelle Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts vorstellen, welche von personalwirtschaftlicher Relevanz sind.
1. Grundsätzliches zur Krankheit im Arbeitsverhältnis
Jeder Arbeitnehmer hat grundsätzlich einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gegenüber dem Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit, jedoch maximal für die Dauer von 6 Wochen, wenn er durch die Arbeitsunfähigkeit die Arbeitsleistung nicht erbringen kann (§ 3 Abs. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz- EFZG).
Weitere Voraussetzung für die Entgeltfortzahlung ist jedoch, dass der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich mitteilt (§ 5 Abs.1 EFZG).
Dauert die Arbeitsunfähigkeit darüber hinaus länger als drei Kalendertage, so hat der Arbeitnehmer die Arbeitsunfähigkeit durch eine ärztliche Bescheinigung nachzuweisen. Die (späte) Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kann jedoch auch durch Arbeitsvertrag oder Tarifvertrag abbedungen werden, sodass der Arbeitnehmer bereits am ersten Tag der Erkrankung verpflichtet ist eine ärztliche Bescheinigung vorzulegen.
Sofern die Arbeitsunfähigkeit länger als in der Bescheinigung angegeben andauert, ist der Arbeitnehmer verpflichtet eine Folgebescheinigung vorzulegen.
2. Verhaltensbedingte Kündigung bei fehlender Mitteilung der Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit
Probleme können sich bereits dann ergeben, wenn bei Fortdauer eine Erkrankung der Arbeitnehmer dies nicht rechtzeitig mitgeteilt hat.
So hat das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 07.05.2020 (Az. 2 AZR 619/19) entschieden, dass die schuldhafte Pflichtverletzung der Mitteilung der Fortdauer einer Arbeitsunfähigkeit eine Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen rechtfertigen kann.
Da der Arbeitnehmer gemäß § 5 Abs. 1 S. 1 EFZG verpflichtet ist, dem Arbeitgeber auch die voraussichtliche Dauer unverzüglich mitzuteilen, ist die Anzeigepflicht nicht nur auf die Ersterkrankung beschränkt, sondern bezieht sich auch auf die Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit.
Die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit verlängert sich bei ihrer Fortdauer über die zunächst mitgeteilte Dauer hinaus und bedarf daher einer erneuten Information des Arbeitgebers. Die Anzeigepflicht sollen Arbeitgeber in die Lage versetzen, sich auf das Fehlen des arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmers möglichst frühzeitig einstellen zu können. Dieses Bedürfnis besteht auch weiterhin bei der Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit über den zunächst mitgeteilten Zeitraum hinaus und grundsätzlich auch unabhängig davon, ob der Arbeitgeber noch zur Entgeltfortzahlung verpflichtet ist.
Unter der Formulierung „unverzüglich“ versteht der Gesetzgeber „ohne schuldhaftes Zögern“. Die Mitteilung kann hierbei auch an einen vom Arbeitgeber zur Entgegennahme von derartigen Erklärungen autorisierten Mitarbeiter gerichtet werden. Fehlt es an einer besonderen Regelung, ist der Vorgesetzte oder die Personalabteilung zu benachrichtigen. Teilt der Arbeitnehmer dies einer anderen Person lediglich als Boten mit, so trägt der Arbeitnehmer das Risiko der rechtzeitigen und zutreffenden Übermittlung.
Vor dem Ausspruch einer verhaltensbedingten Kündigung, aufgrund der Verletzung der Anzeigepflicht, ist jedoch stets eine Interessenabwägung durchzuführen, in welcher insbesondere der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers sowie weitere Verletzungen nach Ausspruch nach einer oder mehrerer Abmahnungen wegen Verstoßes gegen die Anzeigepflicht zu prüfen sind. Auch möglicherweise bestehende betriebliche Ablaufstörungen sowie das bislang pflichtgemäße Verhalten im Hinblick auf die gesamte Betriebszugehörigkeit sind zu berücksichtigen.
Fazit: Der wiederholte Verstoß gegen die Anzeigepflicht nach einer ausgesprochenen Abmahnung dürfte jedoch im Ergebnis noch nicht für eine verhaltensbedingte Kündigung reichen, wenn darüber hinaus keine gravierenden betrieblichen Störungen vorliegen.
3. Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
Legt der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor, so konnten Arbeitgeber die Richtigkeit dieser ärztlichen Bescheinigung bislang nur schwer entkräften. Mit Entscheidung vom 08.09.2021, Az. 5 AZR 149/21 hat das BAG jedoch entschieden, dass der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung dann erschüttert werden kann, wenn die Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit passgenau die Dauer der Kündigungsfrist umfasst.
Nach allgemeinen Grundsätzen hat der Arbeitnehmer die Arbeitsunfähigkeit zu beweisen. Hierzu reicht regelmäßig die Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung aus. Eine ordnungsgemäß ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung hat einen hohen Beweiswert, welcher für das Gericht zunächst ausreicht, um den Beweis einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit zu erbringen.
Der Arbeitgeber kann den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nur dadurch erschüttern, dass er tatsächliche Umstände darlegt und im Bestreitensfall auch beweist, dass sich Zweifel an der Erkrankung des Arbeitnehmers ergeben, mit der Folge, dass der ärztlichen Bescheinigung kein Beweiswert mehr zukommt. Da der Arbeitgeber in der Regel keine Kenntnis von den Krankheitsursachen hat, kann er lediglich Indizien vortragen. Gelingt es dem Arbeitgeber den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeit zu erschüttern, so muss nunmehr der Arbeitnehmer konkrete Tatsachen vortragen, welche den Schluss auf eine bestehende Erkrankung zulassen.
Das Bundesarbeitsgericht hält eine Erschütterung des Beweiswertes bereits für ausreichend, wenn der Arbeitgeber vorträgt, dass die Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit sowie Beginn und Ende der Kündigungsfrist zeitlich identisch sind.
Damit liegen ernsthafte Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit vor, sodass der Arbeitnehmer darlegen und zu beweisen hat, dass die attestierte Arbeitsunfähigkeit dennoch besteht. Dieser Beweis kann insbesondere durch Vernehmung des behandelnden Arztes nach entsprechender Befreiung von der Schweigepflicht erbracht werden.
Fazit: Das BAG sieht den Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bereits dann als erschüttert an, wenn die attestierte Arbeitsunfähigkeit die Restlaufzeit des Arbeitsverhältnisses abdeckt. Der Arbeitgeber hat hierbei die Möglichkeit den verbleibenden Lohnanspruch zunächst zurückzubehalten. Dennoch kann der Arbeitnehmer den Beweis der tatsächlichen Arbeitsunfähigkeit durch Vernehmung des behandelnden Arztes antreten. In der Praxis dürfte der behandelnde Arzt die attestierte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bestätigen.
4. Einheit des Verhinderungsfalls
Viele Arbeitnehmer unterliegen dem Irrglauben, dass diese den Lohnfortzahlungsanspruch über den 6-Wochenzeitraum verlängern können, in dem diese sich durch den behandelnden Arzt auf eine neue Erkrankung arbeitsunfähig krankschreiben lassen.
Wird ein Arbeitnehmer arbeitsunfähig krankgeschrieben, so hat er grundsätzlich einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung für die Dauer von 6 Wochen. Dies gilt auch dann nach dem Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalles, wenn während einer bestehenden Arbeitsunfähigkeit eine neue Erkrankung hinzutritt und sich der Arbeitnehmer auf die neue Krankheit arbeitsunfähig krankschreiben lässt. In einem solchen Fall kann der Arbeitnehmer ausschließlich Entgeltfortzahlung für die Dauer von 6 Wochen beziehen.
Ein neuerer Entgeltfortzahlungsanspruch entsteht nur, wenn die erste krankheitsbedingte Arbeitsverhinderung in dem Zeitpunkt beendet war, in dem die weitere Erkrankung zu einer neuen Arbeitsverhinderung geführt hat.
Dies ist immer dann anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer zwischen zwei Krankheiten auch tatsächlich gearbeitet hat oder jedenfalls arbeitsfähig war.
Dabei hat der Arbeitnehmer darzulegen und zu beweisen, dass die erste Erkrankung tatsächlich beendet und damit ausgeheilt ist und die neue Erkrankung erst nach ausgeheilter Ersterkrankung eingetreten ist.
Ein hinreichend gewichtiges Indiz für das Vorliegen eines einheitlichen Verhinderungsfalles liegt nach höchstrichterlicher Rechtsprechung dann vor, wenn sich an eine erste Arbeitsverhinderung in engem zeitlichen Zusammenhang eine dem Arbeitnehmer im Wege der Erstbescheinigung attestierte weitere Arbeitsunfähigkeit in der Gestalt anschließt, dass die bescheinigten Arbeitsverhinderungen zeitlich entweder unmittelbar aufeinanderfolgen oder das zwischen ihnen lediglich ein arbeitsfreier Tag oder ein arbeitsfreies Wochenende liegt.
Fazit: Legt der Arbeitnehmer nach Ablauf des Entgeltfortzahlungszeitraumes von 6 Wochen eine erneute Erstbescheinigung vor, so liegt hier ein hinreichendes Indiz auf Seiten des Arbeitgebers vor, dass von einem einheitlichen Verhinderungsfall auszugehen ist und ein weiterer Anspruch auf Entgeltfortzahlung entfällt. Auch ein Wochenende zwischen den beiden Erkrankungen kann den Grundsatz des einheitlichen Verhinderungsfalles nicht entkräften. Der Arbeitnehmer müsste daher, um einen Entgeltfortzahlungsanspruch für weitere 6 Wochen auszulösen zwischen den beiden Erkrankungen tatsächlich, wenn auch nur für wenige Stunden gearbeitet haben oder den Nachweis erbringen, dass die Ersterkrankung tatsächlich ausgeheilt ist. Dies kann beispielsweise durch Vernehmung des behandelnden Arztes erfolgen.
Insgesamt ist aufgrund der Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts festzuhalten, dass die Pflichten des Arbeitnehmers auch während der Arbeitsunfähigkeit weitreichend sind. Das BAG hat jedoch entschieden, dass trotz des hohen Beweiswertes einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bereits geringe Indizien ausreichen, um den Beweiswert zu erschüttern, sodass die Darlegungs- und Beweislast letztlich beim Arbeitnehmer verbleibt.
Für weitere Rückfragen und Unterstützung zur Umsetzung stehen wir selbstverständlich jederzeit gern zur Verfügung.
mitgeteilt von
Michael Koch
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Rechtsanwalt
Stephanie Has
Fachanwältin für Arbeitsrecht
Rechtsanwältin
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