Die Patientenakte – ärztliche und pflegerische Dokumentation – ein Überblick 01.03.2018

I. Ausgangspunkt

Die ärztliche Dokumentationspflicht ist eine Nebenpflicht aus dem Behandlungsvertrag und findet seit dem Patientenrechtegesetz vom 20.02.2013 ihre rechtliche Fixierung im BGB. Das Recht des Behandlungsvertrages ist durch das Patientenrechtegesetz erstmals im BGB gesetzgeberisch verankert worden und findet seinen Niederschlag in den §§ 630 a) bis 630 h) BGB (Anlage I).


Dass die ärztliche Dokumentationspflicht der Patientenbehandlung vom Gesetzgeber sehr wichtig genommen wird, zeigt die Fixierung der Dokumentationspflicht in § 630 f) BGB, der die Behandlungsdokumentation vorschreibt sowie in § 630 g) BGB, der das Recht des Patienten auf Einsichtnahme und Abschriftenerlangung des Patienten normiert. Darüber hinaus finden sich noch eine Rechtsfolge bei Dokumentationspflichtverletzungen durch die Vermutungsregelung des § 630 h) Abs. 3 BGB, wonach bei fehlender Dokumentation einer medizinisch gebotenen wesentlichen Maßnahme und ihres Ergebnisses vermutet wird, dass der Arzt diese Maßnahme nicht getroffen hat.


Bereits vor dem Inkrafttreten des Patientenrechtegesetzes war die ärztliche Dokumentationspflicht in berufsrechtlichen Regelungen dokumentiert, so in § 10 der Musterberufsordnung-Ärzte von 1997, derzeit vorliegend in der Fassung des Beschlusses des 118. Deutschen Ärztetages 2015, die wiederum in den Landesberufsordnungen ihre Entsprechung findet, so in § 10 der Berufsordnung der Landesärztekammer Thüringen in der Fassung vom 11.04.2016 (Anlage II).


Auch für das Kassenarztrecht, also für den niedergelassenen Arzt gilt die Dokumentationspflicht. Sie ist in § 57 des Bundesmantelvertrages Ärzte zwischen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und dem GKV-Spitzenverband Bund aufgenommen worden (Anlage III). Das zeigt, welche Bedeutung allgemein sowohl zivilrechtlich, kassenarztrechtlich als auch standesrechtlich der ärztlichen Dokumentationspflicht beigemessen wird.


Die Dokumentation der ärztlichen Behandlung ist somit wesentlicher Bestandteil des Behandlungsverhältnisses zwischen Arzt und Patient, aber auch der standesrechtlichen Tätigkeitsverpflichtung des Arztes auf Grundlage seiner Approbation. Damit ist die Dokumentation der Behandlung untrennbar mit der Behandlung selbst verbunden und ein erheblicher Teil dieser.




II. Zweck der ärztlichen Dokumentation

Die ärztliche Dokumentation zielt primär darauf ab, eine sachgerechte Behandlung des Patienten in einer Arbeitswelt, die Arbeitsteilung mit sich bringt und die, gerade im Krankenhaus, eine Vielzahl von Ärzten auch verschiedener Fachrichtungen in die Behandlung einbindet, zu gewährleisten. Ärztliche Dokumentation ist Gedächtnisstütze für den dokumentierenden Arzt, aber auch Information für andere an der Behandlung Beteiligte und insofern auch zugleich Widergabe des Behandlungsprozesses (Informationsfunktion).


Ärztliche Dokumentation über das Mittel der Patientenakte ist keineswegs, wie der eine oder andere Arzt glauben mag, lästiges Beiwerk zur eigentlichen Behandlung des Patienten. Vielmehr zählt die ärztliche Dokumentation untrennbar zur Behandlung, weil nur über die Dokumentation der Behandlung diese und auch die Weiterbehandlung nachhaltig erfolgversprechend sein kann. Über die Dokumentation der Behandlung wird sichergestellt, dass wiederholte Untersuchungen einschließlich der daraus bestehenden körperlichen und monetären Belastungen vermieden werden, somit gleichzeitig das Persönlichkeitsrecht und das Recht auf körperliche Unversehrtheit des Patienten eingehalten wird (Qualitätsfunktion). Durch die ordnungsgemäße Dokumentation des Behandlungsverlaufes wird eine sachgerechte Mitbehandlung im Laufe des Behandlungsgangs, aber eben auch die Weiterbehandlung durch Dritte durch spätere Behandlungsmaßnahmen auf qualifizierte Weise ermöglicht. Somit ist die Patientenaktendokumentation das zentrale Informationselement der ärztlichen Behandlung, sie dient primär der Diagnose- und Therapiesicherung.


Behandlungsdokumentation hat daneben auch Rechtfertigungsfunktion. Über die Dokumentation der einzelnen Behandlungsschritte (zum Inhalt der Dokumentation sh. unten Ziffer VI.) kann der behandelnde Arzt sein medizinisches Handeln nachweisen und fachlich rechtfertigen. Darüber hinaus erfüllt die Dokumentation eine Beweisfunktion, bezogen auf die dokumentierten Maßnahmen, aber auch bezogen auf die Berechtigung der Vergütung für die durchgeführten Maßnahmen.


Mit der Dokumentationspflicht des Arztes korrespondiert das Recht des Patienten auf Rechenschaftslegung über die Behandlung, die er in der Regel mangels eigener Fachkenntnis nicht beurteilen kann. Ohne die ärztliche Dokumentation wäre der Patient allein auf die Aussagen des behandelnden Arztes über die Durchführung der Behandlungsmaßnahmen angewiesen, selbst im Fall bestehender Meinungsverschiedenheiten oder im Haftungsfall. Durch die ärztliche Dokumentation in Verbindung mit dem Recht zur Einsichtnahme in die Patientenakte gemäß § 630 g) BGB wird der Patient in die Lage versetzt, sich eine Zweitmeinung einzuholen, ohne dass er Gefahr läuft, dass nur durch Schilderungen gegenüber dem dritten Arzt wesentliche Vorgänge der zu bewertenden Behandlungsmaßnahme verloren gehen (Schaffung von Wissensparität). Damit wiederum trägt die Dokumentation der ärztlichen Behandlung auch zur Qualität der ärztlichen Behandlung bei.


Letztlich ist auch das Ausmaß der Dokumentation von Behandlungsmaßnahmen in der Patientenakte mitentscheidend für die Geltendmachung/Abwehr von Schadenersatzansprüchen im Arzthaftungsprozess. Zwar hat der Gesetzgeber des Patientenrechtegesetzes ausdrücklich klargestellt, dass die Dokumentation der Behandlung nicht der Sicherung von Beweisen für einen späteren Haftungsprozess des Patienten dient, faktisch ist aber durch die Beweislastregelung des § 630 h) Abs. 3 BGB eine deutliche Auswirkung für den Haftpflichtprozess geschaffen für den Fall, dass wesentliche Maßnahmen der ärztlichen Behandlung nicht dokumentiert sind (Nichtdokumentation ^ Vermutung der Nichtdurchführung der Maßnahme).

Schließlich sei erwähnt, dass Patientenakten auch als Gegenstand der medizinischen Weiterbildung gelten. Auf der Basis der Informationen aus der


Patientenakte kann ein Medizinstudent oder ein in Weiterbildung befindlicher Assistenzarzt an die Behandlung des Patienten herangeführt werden. Die Patientenakte stellt damit wiederum den Maßstab für den Auszubildenden dafür dar, wie er künftig selbst die Behandlungsmaßnahme dokumentiert. Deswegen ist die Qualität der Dokumentation der Behandlung in den Patientenakten, insbesondere auch die Zusammenführung aller wesentlichen relevanten Daten von entscheidender Bedeutung, auch für die Qualität der medizinischen Ausbildung und damit für die Qualität der künftigen ärztlichen Behandlung.


Letztlich werden durch die Inanspruchnahme von Daten aus Patientenakten medizinische Studien durchgeführt, die letztlich der Weiterentwicklung der Medizin als Wissenschaft dienen.


Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass die ärztliche Dokumentation der Therapiesicherung und der Rechenschaftslegung dient. Sie ist Garant der arbeitsteiligen ärztlichen Behandlung, aber auch unumgänglich bei Behandlung durch nur einen Arzt, dient der Qualität der ärztlichen Behandlung, Mitbehandlung und Weiterbehandlung, Weiterbildung und Forschung. Sie gewährt den Rechenschaftslegungsanspruch des Patienten, auch durch Inanspruchnahme einer Drittprüfung. Außerdem wird sie von Kostenträgern genutzt, um Abrechnungen der Leistungserbringer zu prüfen. Schließlich hat sie Beweis- und Beweislastfunktion.



III. Inhalt und Umfang der Dokumentation


1. Was ist eine Patientenakte?

Der Begriff der Patientenakte ist gesetzlich nicht geregelt. Zwar erwähnt § 630 den Begriff der Patientenakte. Eine unmittelbare Begriffsdefinition zum besseren Verständnis für den Rechtsanwender und Praktiker liefert das Gesetz jedoch nicht, vielmehr nur einzelne Anhaltspunkte.


Durch die Verwendung des Begriffs „Akte“ wird aber die Intention des Gesetzgebers deutlich. Es soll sich um einen für sich abgrenzbaren Dokumentationsteil über die Behandlung des Patienten handeln, der so geführt wird, dass er über ein Ordnungssystem organisiert und verwaltet werden kann, also die Möglichkeit bietet, den Vorgang der Patientendokumentation ordnungsgemäß zu beginnen und diese im Laufe der Behandlung geordnet zu führen und danach abzuschließen.


Die Führung einer „Loseblattsammlung“ ist ungeeignet als Patientenakte, weil diese dem Gebot der systematischen Zusammenführung der wesentlichen Behandlungsdaten nicht entspricht. Durch die Verwendung des Begriffs „Akte“ wird deutlich, dass der Gesetzgeber verlangt, dass der Vorgang nach der Bearbeitung wieder verschlusssicher verwahrt werden kann, und zwar so, dass man die Akte jederzeit wieder auffinden kann (organisierte Verwaltung). Soweit bestimmte Informationen, die dokumentationspflichtig sind, primär nicht in eine körperlich geführte Akte eingebunden werden, muss der Zugriff auf diese Informationen so gesichert sein, dass dieser jederzeit für den Verantwortlichen möglich ist, aber auch jederzeit für Zugriff gegen unberechtigte Dritte geschützt ist.


Die Verwendung von Karteikarten zur Dokumentation der Behandlung, die gerade im niedergelassenen Bereich allgemein verbreitet ist, spricht nicht gegen den Begriff der Patientenakte, so lange die Karteikarten ordnungsgemäß verwaltet und verschlusssicher verwahrt sind.


Wichtig ist, dass in der Patientenakte alle auf den Patienten bezogenen medizinisch relevanten und behandlungsbezogenen Informationen aufgezeichnet werden.


2. Körperlich oder elektronisch?

Bislang ist immer noch die Führung von Patientenakten in körperlicher Form, d. h. als Papierakten und die Nutzung von Diagnosemitteln in körperlicher Form, wie Röntgenbildern oder EKG-Streifen, weit verbreitet. Allerdings ist auch die Nutzung einer Patientenakte in elektronischer Form vom Gesetzgeber ausdrücklich zugelassen (§ 630 f) Abs. 1 BGB).


Die elektronische Behandlungsdokumentation hat den Vorteil, dass durch Verwendung elektronischer Verarbeitungs- und Speichersysteme Patientenakten besser ausgewertet werden können und dadurch die Behandlungsintensität steigen kann. Es werden auch Dokumentationsbeschleunigungseffekte beschrieben durch die Nutzung im Datenerfassungssystem hinterlegter Dokumentationsstrukturen. Allerdings bringt die Einführung elektronischer Dokumentationssysteme meist anfangs einen ganz erheblichen personellen Mehraufwand durch Einführung des Systems und Einarbeitung mit sich.


Außerdem sind bei Einführung und Verwendung der elektronischen Patientenakte Datenschutzbesonderheiten zu berücksichtigen, um Datensicherheit und den Beweiswert der Aufzeichnungen zu wahren.


3. Standesrechtliche Sicherungs- und Schutzpflicht

§ 10 Abs. 5 MBO-Ärzte

Aufzeichnungen auf elektronischen Datenträgern oder anderen Speichermedien bedürfen besonderer Sicherungs- und Schutzmaßnahmen, um deren Veränderung, Vernichtung oder unrechtmäßige Verwendung zu verhindern. Ärztinnen und Ärzte haben hierbei die Empfehlungen der Ärztekammer zu beachten.


Das Gebot der Datensicherheit wird über den Weg der Musterberufsordnung zur standesrechtlichen Pflicht erhoben. Damit soll sichergestellt werden, dass im Interesse der Behandlungs- und Patientensicherheit Behandlungsdaten, etwa auf Grund von Hardware- oder Softwareproblemen nicht verloren gehen. Zudem muss sichergestellt werden, dass Zugriffsrechte auf die Patientendaten so klar definiert werden, dass nur die behandelnden Personen Zugang zu dem Datenbestand haben (etwa durch Passwortsicherung für die in die Behandlung einbezogenen Ärzte und die gleichermaßen zur Verschwiegenheit verpflichteten nichtärztlichen Mitarbeiter).


Außerdem soll bei Verwendung der elektronischen Aktenführung wie auch bei der körperlichen Patientenakte die Urheberschaft jeder einzelnen Eintragung eindeutig erkennbar sein und jede Nutzung der Patientenakte vollständig protokolliert werden.


Ferner muss garantiert werden, dass tägliche Sicherungskopien auf geeigneten Medien erstellt werden. Sollte die Speicherung der elektronischen Patientendaten außerhalb des Krankenhauses oder der Praxis erfolgen, muss sichergestellt werden, dass der Drittdienstleister schriftlich zur Verschwiegenheit verpflichtet wird und die Wartungsmaßnahmen sowie die Namen der Wartungspersonen protokolliert werden. Kommt es zu einem Wechsel des EDV-Systems, muss sichergestellt werden, dass die elektronisch dokumentierten Inhalte des bisher verwendeten EDV-Systems während der für die Aufbewahrung geltenden Fristen weiterhin verfügbar sind.


Zum ersetzenden Scannen siehe Punkt V., S. 29.


Darüber hinaus ist zu beachten, dass nach § 4 f Abs. 1 BDSG sogenannte nicht-öffentliche Stellen (dazu zählen Arztpraxen, MVZs und Krankenhäuser), die Patientendaten automatisiert verarbeiten, verpflichtet sind, einen betrieblichen Datenschutzbeauftragten zu bestellen, und zwar immer dann, wenn mehr als 9 Personen ständig mit der automatisierten Verarbeitung personenbezogener Daten beschäftigt sind (zum betrieblichen Datenschutzbeauftragten siehe auch Bundesärztekammer/Kassenärztliche Bundesvereinigung „Empfehlungen zur ärztlichen Schweigepflicht,


Datenschutz und Datenverarbeitung in der Arztpraxis“, 23.05.2014, Deutsches Ärzteblatt, Jg.111, Heft 21, S. A 963 ff., Anlage IV).


4. Was ist zu dokumentieren?

Der Inhalt der Dokumentation in der Patientenakte wird vom Gesetzgeber nicht abschließend vorgegeben. Allerdings gibt der Gesetzgeber eine beispielhafte Aufzählung der zwingenden Dokumentationsgegenstände.


§ 630 f) Abs. 2

"Der Behandelnde ist verpflichtet, in der Patientenakte sämtliche aus fachlicher Sicht für die derzeitige und künftige Behandlung wesentlichen Maßnahmen und deren Ergebnisse aufzuzeichnen, insbesondere

-      die Anamnese,

-      Diagnosen,

-      Untersuchungen,

-      Untersuchungsergebnisse,

-      Befunde (Hinweis des Unterz.: nicht nur objektive, sondern auch subjektive Befunde),

-      Therapien und ihre Wirkungen,

-      Eingriffe und ihre Wirkungen,

-      Einwilligungen und Aufklärungen.

Arztbriefe sind in die Patientenakte aufzunehmen.



Diese im Gesetz enthaltene Aufzählung ist nicht abschließend. Dies wird deutlich durch die Verwendung des Begriffs „insbesondere“ in § 630 f) Abs. 2 Satz 1 BGB. Der Gesetzgeber hat also bewusst auf eine abschließende Aufzählung verzichtet, was mit der Spezifik und Individualität der Patientenbehandlung zusammenhängt. Umfangreichere Behandlungsmaßnahmen müssen umso genauer und vollständiger dokumentiert werden. Das gleiche gilt für komplizierte und schwierig zu dokumentierende Tatsachen.


Die Ärztekammern und Kassenärztlichen Vereinigungen empfehlen ihren Mitgliedern zur besseren Ausfüllung des im Gesetz enthaltenen Dokumentationskataloges die Dokumentation folgender weiterer Tatbestände und Daten:


  • Personaldaten des Patienten
  • Daten der Behandlung
  • Beginn und Ende der Behandlung
  • Anlass der Behandlung (Eigeninitiative, Notfall, Überweisung, Einweisung)
  • Verdachtsdiagnosen
  • Therapie, Arzneimittelverordnung
  • Eingriffe
  • Operationen und Operationsberichte
  • Therapien, Heil- und Hilfsmittel
  • Röntgen- und Sonographieaufnahmen
  • Laborbefunde
  • Überweisungsempfehlungen
  • Wiedereinbestellungen
  • an Patienten gegebene Warnungen
  • ggf. unterschriebene Verweigerungserklärungen des Patienten/eigenmächtiges Verlassen des Krankenhauses gegen ärztlichen Rat
  • Therapieanpassungen
  • kontrollbedürftige Befunde
  • ausstehende Befunde
  • ärztliche Anweisungen
  • Abweichungen bei Diagnostik und Therapie von Leitlinienvorgaben als allgemein anerkannte fachliche Standards, insbesondere beim Off label use
  • Abweichungen von einem normalen Behandlungsver-lauf/komplizierender Verlauf
  • Besonderheiten jeder Art, ins-besondere sozialer, familiärer, persönlicher Natur (Stichwort Compliance, auch Suchtsitua-tion)


Wenn man diese empfehlenden Dokumentationsvorgaben mit den Regelbeispielen des Gesetzgebers vergleicht, wird deutlich, dass es sich lediglich um ausfüllende Merkmale handelt, die aber für sich betrachtet bereits in den Regelbeispielen des Gesetzes angelegt sind.


Die Anamnese stellt sowohl in der Chronologie der Behandlung als auch der Patientenakte quasi den ersten Schritt dar. Sie ist die professionelle Erfragung von potenziell medizinisch relevanten Informationen durch Fachpersonal (Arzt), bei der entweder der Patient selbst Auskunft erteilt (Eigenanamnese) oder dies durch eine dritte Person übernommen wird (Fremdanamnese). Ziel dabei ist die Erfassung der Krankengeschichte eines Patienten im Rahmen einer aktuellen Erkrankung. Die Anamnese ist damit eine wesentliche Grundlage für das Stellen einer Diagnose und somit in allen medizinischen Fachbereichen von herausgestellter Bedeutung. Sie ist damit auch die Basis für die Einleitung von Therapien.


Fehlt in einer Patientenakte eine Anamnese oder fehlen in der Anamnese wesentliche Erhebungen zur Krankengeschichte, kann sich der behandelnde Arzt im Nachhinein nur schwer auf das Vorhandensein der nicht dokumentierten Informationen berufen. Dies trifft man immer wieder gerade in Vergütungsprozessen gegenüber den Krankenversicherungen an. Krankenversicherungen vertreten diesbezüglich die Auffassung, dass nicht dokumentierte, aber relevante Fakten über das Krankheitsgeschehen des Patienten als nicht existent und nicht berücksichtigungsfähig gelten. Dies ist allerdings mit Blick auf die Beweislastumkehrregelung des § 630 h) Abs. 3 BGB nur bedingt richtig (dazu unten mehr). Relevanz entfalten Anamnesebestandteile insbesondere bei sogenannten „weichen Faktoren“, die nicht primär, aber gleichwohl sekundär die Behandlung beeinflussen, wie Suchterkrankungen, Compliancesituationen, familiäre und soziale Hintergründe, Allergiesituationen, Medikamenteneinnahmen, Risikofaktoren oder auch Phobien etc.


Das Ausmaß der Dokumentation hängt auch von der Person des Dokumentationspflichtigen ab. So werden an Inhalt und Genauigkeit der Dokumentation eines Anfängerarztes deutlich höhere Anforderungen gestellt. Ein Anfängerarzt muss selbst bei Routine- oder gar Banalitätseingriffen die wesentlichen Punkte des Eingriffes ausführlich dokumentieren (vgl. etwa das Urteil des BGH, NJW 1985, 2193: Lymphdrüsenextirpation in LA an der linken Halsseite durch den Assistenzarzt im 1. Ausbildungsjahr/HNO mit Schädigung des Nervus acczessorius). Dies spielt für den Einsatz von Assistenzärzten in der täglichen Behandlung eine wesentliche Rolle.


5. Wer muss dokumentieren?

Dokumentationspflichtig ist der die jeweilige Behandlungsmaßnahme durchführende Arzt, in stationären Einrichtungen unter Endverantwortung des die Klinik leitenden Chefarztes. Grundsätzlich ist der Arzt (aber nur der Arzt und nicht etwa Pflegekräfte) berechtigt, seine Dokumentationspflicht an eine dritte von ihm ausgewählte geeignete Person im Einzelfall zu delegieren. In diesem Fall muss aber der delegierende Arzt die von ihm veranlasste Dritteintragung persönlich kontrollieren und abzeichnen. Im Rahmen der ärztlichen Ausbildung ist durch den Weiterbildungsverantwortlichen regelmäßig zu prüfen, inwieweit die von in Weiterbildung befindlichen Ärzten vorgenommenen Eintragungen fachlich korrekt sind, und zwar geeigneterweise im laufenden Behandlungsprozess, stichprobenhaft bei Abschluss der Behandlung/Archivierung der Akte.


6. Zeitpunkt der Dokumentation

Die temporäre Komponente der Dokumentation von Behandlungsfakten wird wiederum vom Gesetzgeber in § 630 f) Abs. 1 BGB mit einer allgemeinen Formulierung vorgegeben:


Der Behandelnde ist verpflichtet, zum Zweck der Dokumentation in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Behandlung eine Patientenakte in Papierform oder elektronisch zu führen.


Wegen der oben geschilderten Dokumentationszwecke (Informationsfunktion, Therapiesicherung, Rechtfertigungs- und Beweisfunktion) versteht es sich von selbst, dass die Behandlungsmaßnahme noch während oder unmittelbar nach ihrer Durchführung aufgezeichnet wird. Sollten besondere Umstände dies nicht möglich machen, ist die Dokumentation zeitnah nachzuholen, etwa wenn Notfallbehandlungsmaßnahmen ein sofortiges Einschreiten des Arztes erforderlich machen und die eigentlich gebotene sofortige Dokumentation der zuvor abgeschlossenen Behandlungsmaßnahmen verhindern; dies darf aber nicht zum Dauerzustand führen, insbesondere sollte sich kein Arzt mit einer solchen Situation dauerhaft rechtfertigen. Dies führt letztlich zur Schadensträchtigkeit der mankobehafteten Dokumentation und zu Haftungsfällen.


In den typischen Weiterbehandlungsfällen infolge Überweisung, Einweisung, Verlegung oder Entlassung ist der abgebende Arzt verpflichtet, dem übernehmenden Arzt rechtzeitig die erhobenen Befunde zu übermitteln und über die bisherige Behandlung zu informieren (sh. dazu auch die standesrechtliche Regelung in § 7 Abs. 7 der Musterberufsordnung-Ärzte). Das bedeutet für die praxis- bzw. krankenhausübergreifende Zusammenarbeit der Professionen die so zeitnahe Übermittlung der Behandlungsdaten an den Kollegen, dass dieser bei Aufnahme/Fortsetzung der Behandlung in die Lage versetzt wird, auf der Basis des übertragenden Informationsbestandes den Patienten regelgerecht ärztlich zu behandeln. Deswegen müssen ärztliche Entlassungsbriefe in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang zum Abschluss der Behandlung fertiggestellt und an den Weiterbehandelnden versandt werden.


Der Zeitpunkt der Dokumentation ist auch ein wesentlicher Faktor für die Bewertung der Richtigkeit der dokumentierten Maßnahme. Je später eine Maßnahme dokumentiert wird, umso stärker spricht dies dafür, dass diese nur noch aus dem Gedächtnis erfolgte, etwa bei einer erst Wochen oder gar Monate später durchgeführten Dokumentation. In diesem Fall ist mit einer Beweislastumkehr zugunsten des Patienten zu rechnen, sh. dazu auch Ziff. 10.


Pauschale Fristen zur Erstellung des Patientenakteneintrages gibt es nicht. Dies hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Im arbeitsteiligen Behandlungsablauf ist aber der Grundsatz der sofortigen Dokumentation zu beachten.


Der Arzt darf Nachträge in die Dokumentation einfügen, muss dann allerdings den Grund und das Datum für den Nachtrag vermerken und dies gegenzeichnen.


7. Berichtigung/Löschung und Sperrung von Eintragungen

Berichtigungen und Änderungen von Eintragungen in der Patientenakte sind zulässig. Allerdings ist zu beachten, dass der ursprüngliche zu berichtigende Inhalt erkennbar bleiben muss und der Berichtigungsvermerk zu datieren ist. Auf jeden Fall sind die Verwendung von „Tipp-Ex“, Schwärzungen oder die gänzliche Vernichtung von Dokumentationsbestandteilen zu unterlassen. Diese Prinzipien gelten auch für die elektronische Aktenführung. Es darf keine Software verwendet werden, die die Löschung oder anderweitige Unkenntlichmachung bisheriger Eintragungen ermöglicht. Vielmehr müssen ursprüngliche Eintragungen und nachträgliche Berichtigungen und Änderungen automatisch erkennbar gemacht werden.


Die Pflicht zu Berichtigung besteht dann, wenn unrichtige Daten über den Patienten oder die Behandlung dokumentiert sind. Dies verlangen selbst datenschutzrechtliche Vorschriften (sh. § 35 BDSG).


Die Löschung von patientenbezogenen Daten ist dann verpflichtend durchzuführen, wenn ihre Speicherung unzulässig war oder ihre Kenntnis nicht oder nicht mehr erforderlich ist (z. B. Daten über die rassische oder ethnische Herkunft, sofern für die Behandlung nicht relevant, politische Meinungsäußerungen, religiöse oder philosophische Überzeugungen, Gewerkschaftszugehörigkeit, Gesundheit etc.; soweit derartige Daten allerdings medizinisch relevant sein könnten, etwa im Rahmen der psychiatrischen Behandlung, sind diese wiederum dokumentationspflichtig, ähnlich auch bei Eskalationen, die im Behandlungsprozess entstehen – hier besteht wiederum die Pflicht zur ausführlichen Dokumentation).


8. Art und Weise der Dokumentation

Um dem dargelegten Dokumentationszweck zu entsprechen, muss der Arzt die Sachverhalte in verständlicher Form verfassen, und zwar so, dass es die an der Behandlung beteiligten Fachpersonen nachvollziehen können (Laiensprache nicht erforderlich). Dabei können Stichworte und Abkürzungen verwendet werden, solange diese verständlich und ohne Nachfrage nachvollziehbar sind.


Nicht ausreichend sind stenografische Dokumentationen.


Ebenso muss die Dokumentation insgesamt leserlich und nachvollziehbar sein. In diesem Punkt bietet die elektronische Patientenakte sicherlich einen erheblichen Vorteil.


Als Dokumentationssprache gilt deutsch. Die Verwendung der medizinischen Fachsprache Latein ist für die Bezeichnung von Diagnosen und Behandlungen möglich, jedoch nicht als Satztext. Die Verwendung einer anderen Sprache, etwa englisch ist nicht geboten. Auch bei Beteiligung von Ärzten und anderem medizinischen Personal mit fremdsprachigen Hintergrund kann der Einsatz der englischen Sprache als Dokumentationssprache nur in absoluten Ausnahmefällen in Betracht kommen. In diesem Fall dürfte im Übrigen auch eine Einwilligung des Patienten erforderlich sein, da durch die Verwendung der englischen Sprache sein Einsichts- und Informationsrecht erschwert werden könnte. Dagegen ist die Hinterlegung von englischer Fachliteratur in der Patientenakte zu Behandlungs- oder Ausbildungszwecken möglich.


9. Kann Patient auf Führung der Patientenakte verzichten?

Die ärztliche Dokumentation ist eine dem Arzt zivilrechtlich und standesrechtlich auferlegte Pflicht. Aus dieser kann ihn auch eine Verzichtserklärung des Patienten nicht entlassen.


10. Dokumentationsmängel - Folgen

Eine mangelhafte oder gar nicht geführte Patientenakte wirkt sich nachhaltig auf das zivilrechtliche Behandlungsverhältnis zwischen Arzt und Patient, aber auch auf die Standessituation des Arztes, wie auch auf vergütungsrechtliche Beziehungen zwischen Arzt und Krankenversicherung aus.


a) Beweislastumkehr, § 630 h) Abs. 3 BGB

Im Behandlungsgeschehen hat der Patient in der Regel nur einen begrenzten Einblick in dieses und kann schwer beurteilen, ob die bei ihm durchgeführte Behandlungsmaßnahme fachlich und zeitlich regelgerecht erfolgte. Dagegen kennt der Arzt die von ihm veranlassten und durchgeführten Behandlungsabläufe und die damit verbundenen medizinischen Zusammenhänge. Um im Arzthaftungsprozess eine Beweisnot zu Lasten des Patienten zu vermeiden, hat der Gesetzgeber daher in § 630 h) BGB diverse Beweislastumkehrregelungen aufgenommen. Für die Dokumentation ist Abs. 3 der regelnde Hebel:


(3) Hat der Behandelnde eine medizinisch gebotene wesentliche Maßnahme und ihr Ergebnis entgegen § 630 f) Abs. 1 oder Abs. 2 nicht in der Patientenakte aufgezeichnet oder hat er die Patientenakte entgegen § 630 f Abs. 3 nicht aufbewahrt, wird vermutet, dass er diese Maßnahme nicht getroffen hat.


Diese Beweislastumkehr führt quasi zu einer fiktiven Vernichtung einer zwar durchgeführten, aber nicht dokumentierten Behandlungsmaßnahme. Im Umkehrschluss gibt es aber auch keine Beweislastregelung, die unwiderlegbar die auch tatsächlich dokumentierten Behandlungsmaßnahmen als durchgeführt annimmt.


Der Arzt wird gleichwohl in die Lage versetzt, durch andere Beweismittel nachzuweisen, dass die zwar nicht dokumentierte Behandlungsmaßnahme aber gleichwohl durchgeführt wurde. In diesem Fall muss dann aber der Arzt einen sicheren Vollbeweis führen, z. B. durch Einvernahme von an der Behandlung beteiligten Personen. Dies gestaltet sich allerdings mitunter schwierig, insbesondere wenn in Jahre später durchgeführten Haftungsprozessen Zeugen sich an vergangene Behandlungsmaßnahmen erinnern sollen.


Infolge der Beweislastumkehr kann es im zivilrechtlichen Haftungsprozess des Patienten gegen den Arzt zu zivilrechtlichen Sanktionen, insbesondere zu Schadenersatzansprüchen kommen.


b) berufsrechtliche Sanktionen

Die Ahndung von Verstößen gegen ärztliche Berufspflichten ist den Berufsgerichten der Länder übertragen. Voraussetzung für die Einleitung eines berufsgerichtlichen Verfahrens ist eine berufsunwürdige Handlung. Als solche versteht man einen schuldhaften Verstoß gegen Pflichten, die einem Arzt zur Wahrung des Ansehens seines Berufes obliegen.


Unter der Eingriffsschwelle des berufsgerichtlichen Verfahrens besteht noch ein Rügerecht der Landesärztekammern.


Maßgeblich für den Freistaat Thüringen ist das Thüringer Heilberufegesetz (ThürHeilBG) in der Fassung vom 02.07.2016.


Das außergerichtliche Rügerecht der Landesärztekammer bezieht sich auf die Verletzung beruflicher Pflichten bei geringer Schuld. Die Rüge kann mit einem Ordnungsgeld bis zu einer Höhe von 2.000,00 € verbunden werden. Das Rügerecht erlischt, sobald wegen desselben Sachverhalts ein berufsgerichtliches Verfahren gegen den Arzt eingeleitet worden ist. Eine Rüge darf nicht mehr erteilt werden, wenn seit dem Verstoß gegen Berufspflichten  mehr als 3 Jahre verstrichen sind. Die Rüge ist rechtsmittelfähig.


Im berufsgerichtlichen Verfahren kann auf Verwarnung, Verweis, Geldbuße bis zu 50.000,00 €, zeitweilige Entziehung des Wahlrechts zu berufsständischen Organisationen und Feststellung der Berufsunwürdigkeit erkannt werden. Verweis, Wahlrechtsentziehung und Geldbuße können nebeneinander verhängt werden.


In Thüringen ist das Berufsgericht für Heilberufe beim Verwaltungsgericht Meiningen angesiedelt.


Die Verletzung von Dokumentationspflichten stellt eine Verletzung einer Berufspflicht dar, da die Dokumentationspflicht, wie oben dargelegt, in die berufsständische Regelung des § 10 der Berufsordnung Ärzte Thüringen aufgenommen wurde. Je nach dem Grad der Pflichtverletzung kann daher eine der vorbenannten Maßnahmen gegen den Arzt ergriffen werden.


c) strafrechtliche Sanktionen

Stellt die Verletzung der Dokumentationspflichten gleichzeitig eine Datenschutzverletzung dar, können die Bußgeldvorschriften des § 43 BDSG zum Einsatz kommen. Diese sehen Geldbußen bis zu insgesamt 300.000,00 € vor. Sind Datenschutzverletzungen vorsätzlich gegen Entgelt begangen worden, kommt eine strafrechtliche Relevanz im Sinne von § 44 BDSG in Betracht, der Freiheitsstrafe mit bis zu 2 Jahren oder Geldstrafe vorsieht.


Da eine mangelhafte Dokumentation auch anzunehmen ist, wenn Patientenaktendaten dritten Unbefugten zugänglich gemacht werden, ist auch eine Verletzung des Berufsgeheimnisses in Betracht zu ziehen. Diese wiederum kann strafrechtlich über § 203 StGB – Verletzung von Privatgeheimnissen mit einer Freiheitsstrafe von bis zu 1 Jahr oder mit Geldstrafe sanktioniert werden.


Zu beachten ist, dass bei einer anstehenden berufsrechtlichen Ahndung eine Bestrafung in einem vorhergehenden Strafverfahren zu berücksichtigen ist, da das Verbot der Doppelbestrafung zu beachten ist. Insofern darf das Berufsgericht dann nur den sogenannten berufsrechtlichen „Überhang“ ahnden, also soweit nicht die strafrechtliche Verurteilung die ebenfalls verwirklichten berufsrechtlichen Verstöße sanktioniert hat.


d) arbeitsrechtliche Sanktionen

Soweit die Dokumentationspflichtverletzung im Arbeitsverhältnis begangen wurde, ist zu beachten, dass die berufsrechtliche Pflichtenkonstellation über das Berufsbild der im Arbeitsvertrag vereinbarten Tätigkeitsbezeichnung in das Arbeitsverhältnis transformiert wird und der Arbeitgeber, etwa der Krankenhausträger, Dokumentationspflichten mit dem Sanktionskanon des Arbeitsrechts ahnden kann, etwa mit den Mitteln der Ermahnung, Abmahnung oder im schwerwiegenden Wiederholungsfall der verhaltensbedingten Kündigung.


Daneben kämen unter Berücksichtigung der Haftungsprivilegierung im Arbeitsverhältnis nach den Prinzipien des innerbetrieblichen Schadensausgleiches Regressansprüche des Arbeitgebers gegen den Arbeitnehmer in Betracht, wenn diese kausal auf Dokumentationspflichtverletzungen zurückzuführen sind. Dies könnte z. B. bei der Fallgestaltung auftreten, dass ein Arzt konsequent wiederholend auch nach Abmahnungen durch den Arbeitgeber Patientenakten nicht abschließt und dadurch eine Abrechnung und Vergütung der Behandlungsleistung unmöglich gemacht wird.


e) Sanktionen im Vertragsarztverhältnis

Soweit den niedergelassenen Vertragsarzt eine fehlerhafte Dokumentation von Behandlungsmaßnahmen trifft, kommen Disziplinarmaßnahmen wegen Verstoßes gegen vertragsärztliche Pflichten nach den Disziplinarordnungen der Kassenärztlichen Vereinigungen zur Anwendung (§ 81 Abs. 5 SGB V i. V. m. §§ 57, 60 BMV-Ä und §§ 4 ff. Disziplinarordnung der Kassenärztlichen Vereinigung Thüringen). Als Disziplinarmaßnahmen kommen Verwarnung, Verweis, Geldbuße bis 50.000,00 € und Anordnung des Ruhens der Zulassung oder der vertragsärztlichen Beteiligung bis zu 2 Jahren in Betracht.


Daneben führen die Dokumentationsmängel zu gleichartigen Beweislastsituationen, wie im Haftungsverhältnis zum Patienten, wenn es um die Frage der Vergütung der ärztlichen Leistungen durch die Kassenärztliche Vereinigung oder die Krankenkasse geht.



IV. Akteneinsicht – wer darf was einsehen?


1. Patient

Der Patient hat ein gesetzlich verbrieftes umfassendes Einsichtnahmerecht (§ 630 g) BGB).


§ 630 g) BGB (Abs. 1)

„Dem Patienten ist auf Verlangen unverzüglich Einsicht in die vollständige, ihn betreffende Patientenakte zu gewähren, soweit der Einsichtnahme nicht erhebliche therapeutische Gründe oder sonstige erhebliche Rechte Dritter entgegenstehen. Die Ablehnung der Einsichtnahme ist zu begründen. § 811 ist entsprechend anzuwenden.


(Abs. 2)

„Der Patient kann auch elektronische Abschriften von der Patientenakte verlangen. Er hat dem Behandelnden die entstandenen Kosten zu erstatten.“


Der Einsichtnahmeanspruch ist seitens des Patienten modifizierbar. Er kann einen Anspruch auf Einsichtnahme in die Patientenakte (körperlich bzw. gegenständlich) geltend machen. In diesem Fall muss der Arzt/Krankenhausträger dafür Sorge tragen, dass bei der Einsichtnahme in die Akte durch den Patienten keine Veränderungen, Löschungen oder Vernichtungen vorgenommen werden. Ferner ist sicherzustellen, dass bei der Einsichtnahme keine Daten Dritter zugänglich gemacht werden.



Alternativ kann der Patient die Zurverfügungstellung von Kopien der körperlichen Patientenakte oder elektronischer Abschriften von der elektronisch geführten Patientenakte verlangen. In diesem Fall ist sicherzustellen, dass die dem Patienten zur Verfügung gestellte Datei von diesem nicht veränderbar ist.


Für die Gewährung von Abschriften darf der Arzt/Krankenhausträger Kostenerstattung verlangen, ggf. auch als Vorschuss. Die Höhe der Kosten orientiert sich an den Auslagenregelungen des Gerichtskostengesetzes, nämlich:


  • bei Kopien und Ausdrucken bis zu DIN A3 für die ersten 50 Seiten je Seite schwarz/weiß 0,50 €
  • für jede weitere Seite schwarz/weiß 0,15 €
  • bei Farbausdrucken 1,00 €, ab der 51. Seite 0,30 €
  • Überlassung von elektronisch gespeicherten Dateien oder deren Bereitstellung zum Abruf, je Datei 1,50 €, insgesamt jedoch höchstens 5,00 €.


Der Umfang des Einsichtsrechts erstreckt sich auf die gesamte Patientenakte, selbst auch auf Niederschriften über persönliche Eindrücke oder subjektive Wahrnehmungen des Behandelnden (vgl. BT-Drs. 17/10488 S. 26/27, Anlage V).


Zu beachten ist aber, dass das Einsichtsrecht dann beschränkt werden kann, wenn erhebliche therapeutische Gründe entgegenstehen. In diesem Fall kann der Behandelnde die Einsichtnahme partiell oder vollständig verweigern. Diese Konstellationen gelten jedoch als Einzelfälle. Die Verweigerung ist dem Patienten zu begründen. Die Verweigerung soll dann gerechtfertigt sein, wenn die Einschränkung des Einsichtsrechts dem Schutz des Patienten vor Informationen über seine Person dient, die ihm erheblich schaden könnten. Dabei geht es um Informationen, deren Bekanntgabe zu einer erheblichen Gefahr der gesundheitlichen Selbstschädigung des Patienten führen kann. Allerdings ist bei einer derartigen Konstellation auch stets der Gesundheitszustand des Patienten einzuschätzen. Gilt dieser als stabil darf der Behandelnde die Einsichtnahme nicht verwehren. Insoweit ist dem mündigen Patienten das Recht zuzugestehen, eigenverantwortlich über die Frage entscheiden zu dürfen, wie viel er wissen möchte und wo die Grenzen seines Informationsbedürfnisses erreicht sind. Es ist nicht die Aufgabe des Behandelnden, diese Frage anstelle des Patienten zu entscheiden und diesen im Ergebnis zu bevormunden.


Als Alternative zur Gewährung einer gesundheitsbedingt gefährdeten Akteneinsichtnahme käme ggf. auch die Gewährung der Einsichtnahme unter Hinzuziehung einer Begleitperson in Betracht.


Soweit die Patientenaktenaufzeichnungen Informationen über die Persönlichkeit dritter Personen enthalten, die ihrerseits schutzwürdig sind, ist die Grenze des Einsichtsrechts erreicht. Dies kann nach der Gesetzesbegründung z. B. für den Fall eines minderjährigen Patienten gelten, der eine Behandlung unter Einbeziehung seiner sorgeberechtigten Eltern durchführt. Sind sensible Informationen über die Eltern des Patienten und über deren Persönlichkeit in die Dokumentation des Behandlungsgeschehens eingeflossen oder ist im Einzelfall eine erhebliche Gesundheitsgefährdung des Patienten im Falle der Kenntnis dieser Informationen zu befürchten, kann es sachgerecht sein, dem Patienten die Einsichtnahme partiell zu verweigern.


Psychiatrische Behandlungsakten unterliegen bei der Beschränkung des Einsichtsrechts einem besonderen Prüfungsregime durch den Arzt. Im psychiatrischen Bereich wird viel mehr als im somatischen Bereich mit subjektiven Berichten und Einschätzungen gearbeitet. Psychiatrische Patienten befinden sich möglicherweise in einer seelischen Ausnahmesituation, die die Einschätzung rechtfertigt, dass der Gesundheitszustand des Patienten eben nicht stabil genug ist, um eine Einsicht in die Patientenakte zu gewähren. Andererseits sollen auch psychiatrisch erkrankte Patienten in geeigneten Fällen in die Lage versetzt werden, ihre Patientenakte einzusehen.


Insofern gilt für den Bereich der Psychiatrie auch kein pauschales Einsichtnahmeverweigerungsrecht, sondern ein individueller Prüfungsrhythmus.


Eine Entscheidung des Arztes über die Verweigerung der Akteneinsichtnahme des Patienten ist gerichtlich überprüfbar.


2. Erben und nahe Angehörige

Im Fall des Todes des Patienten geht das Recht auf Akteneinsicht nicht unter. Vielmehr geht es als Teil der Vermögensmasse auf die Erben über. Diese haben dann ein gleichartiges Einsichtsrecht, wie der verstorbene Patient. In diesem Fall kommt der Einsichtsverweigerung wegen erheblicher therapeutischer Gründe ein geringerer Stellenwert zu.


Bei besonderen Fallkonstellationen können auch nahe Angehörige des Patienten nach dessen Ableben Akteneinsicht geltend machen, allerdings nur dann, wenn für sie immaterielle Interessen bestehen, etwa zur Abklärung von Erbkrankheiten.

Als nahe Angehörige gelten:

  • Ehegatten, Lebenspartner
  • Kinder
  • Eltern, Enkel


Das Einsichtsrecht der Erben und der nächsten Angehörigen unterliegt der Einschränkung, dass der ausdrückliche oder mutmaßliche Wille des Patienten der Einsichtnahme nicht entgegenstehen darf. Diese Einschränkung ist erforderlich, da der durch die Grundrechte gewährleistete Schutz des Patienten in Bezug auf die in der Patientenakte enthaltenen Informationen durch dessen Tod nicht vollständig erlischt.


3. Einsicht durch sonstige Dritte

Die in der Patientenakte hinterlegten Informationen sind Daten im Sinne des Datenschutzgesetzes. Ihre Übermittlung ist nach § 4 Abs. 1 BDSG nur dann zulässig, wenn sie entweder durch die Einwilligung des Patienten oder durch eine gesetzliche Vorschrift legitimiert ist.


Gesetzliche Vorschriften über die Weitergabe von Patienteninformationen finden sich sowohl im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung (SGB V als auch im Gesundheitsrecht).


  • Übermittlung an KV
  • zu Abrechnungszwecken (§ 295 SGB V i. V. m. § 106 a SGB V
  • zur allgemeinen Aufgabenerfüllung (§ 294 SGB V)
  • zur Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitsprüfung im Einzelfall (§ 298 SGB V);
  • Übermittlung an die Prüfstellen gem. § 106 Abs. 4 Satz 1 SGB V
    • zur Wirtschaftlichkeitsprüfung der vertragsärztlichen Versorgung (§ 296 Abs. 4 SGB V)
  • Übermittlung an die Krankenkassen
    • zum Zweck der allgemeinen Aufgabenerfüllung (§ 294 SGB V)
    • Mitteilung von Krankheitsursachen und drittverursachten Schäden (§ 294 a SGB V, betr. Krankheiten als Berufskrankheit, Folge- oder Spätfolgen eines Arbeitsunfalles, eines sonstigen Unfalls, einer Körperverletzung, einer Schädigung im Sinne des Bundesversorgungsgesetzes oder eines Impfschadens im Sinne des Infektionsschutzgesetzes oder Hinweise auf drittverursachte Gesundheitsschäden sind durch Vertragsärzte, MVZs bzw. Krankenhäuser den KV/Krankenversicherungen mitzuteilen/Mitteilungspflicht)
    • Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (§ 295 SGB V)
  • Übermittlung an den MDK im Rahmen der sozialmedizinischen Einzelfallprüfung nach § 275 Abs. 1 i. V. m. § 276 SGB V.


Außerdem finden sich in verschiedenen gesundheitsrechtlichen Vorschriften Übermittlungsbefugnisse, so u. a. im Infektionsschutzgesetz, in den Krebsregistergesetzen der Länder, in der Röntgenverordnung, in der Strahlenschutzverordnung, im Betäubungsmittelgesetz, im SGB VII für das Recht der gesetzlichen Unfallversicherung, im Personenstandsgesetz und im Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz.


Die Weitergabe von Patientendaten an private Versicherungsunternehmen bedarf einer Einwilligung des Patienten und muss auf den konkreten Anlass bezogen sein. Hier käme allerdings auch bei Anforderung durch eine private Versicherung als Alternative eine Vorlage der Unterlagen an den Patienten zum Zweck der Weiterleitung an die private Versicherung in Betracht.


Sofern im Übrigen private Versicherer Arzt- oder Krankenhausrechnungen, die die Patientenbehandlung privat Versicherter betreffen, durch Einschaltung von Privatsachverständigen überprüfen lassen, kommt eine Weitergabe von Patientendaten durch den Behandelnden an den Sachverständigen ausschließlich nur dann in Betracht, wenn eine Einwilligung des Patienten dazu vorliegt. Hier kann nicht die gesetzliche Regelung, die bei der sozialmedizinischen Einzelfallprüfung durch den MDK gilt, analog angewandt werden. Ferner bedarf die Weitergabe von Daten an privatärztliche Verrechnungsstellen zum Zweck der Abrechnung ärztlicher Leistungen einer ausdrücklichen Einwilligung des Patienten. Eine zustimmungslose Weitergabe dieser Daten stellt einen Verstoß gegen den Sozialdatenschutz dar.


Das gleiche betrifft im Übrigen die Weitergabe von Patientendaten im Rahmen einer Praxisveräußerung. Liegt keine Einwilligung der Patienten vor, kann der die Praxis veräußernde Arzt die Patientenakten dem Praxiserwerber nur im Rahmen eines Verwahrvertrages in Obhut geben. Dieser muss dann die Patientenakten verschlusssicher verwahren und darf sie nur mit Einwilligung des Patienten einsehen, bearbeiten oder weitergeben.



V. Aufbewahrung/-fristen


1. Aufbewahrung während der Behandlung

Der Arzt kann die Patientenakte in Papierform oder in elektronischer Form anlegen und führen. Daraus ergeben sich entsprechende Konsequenzen für die Aufbewahrung der Akte im laufenden Behandlungsprozess und für die Zeit nach der Beendigung der Behandlung.


Für die Verwendung einer elektronischen Patientenakte gilt zunächst in der täglichen Handhabung der Grundsatz, dass die Eintragungen revisionssicher, also fälschungssicher sein müssen. Der Zugang zur Akte muss individualisiert so erfolgen, dass nur die mit der Behandlung befassten Personen Zugang zur Akte haben. Es darf keine Software verwendet werden, die die bereits getätigten Eintragungen in die Patientenakte überschreibt. Vielmehr müssen bei Änderungen ursprünglicher Eintragungen diese weiterhin sichtbar bleiben bei gleichzeitiger Kennzeichnung der Änderungen. Es muss auf besondere Sicherungs- und Schutzmaßnahmen geachtet werden, um die Veränderung, Vernichtung oder unrechtmäßige Verwendung von Patientendaten zu verhindern, zumal damit das gesetzliche Gebot der ärztlichen Schweigepflicht, das nach § 203 Strafgesetzbuch strafbewährt ist, in Verbindung steht. Eine tägliche Sicherung der Daten auf geeigneten Datenträgern wird von den Ärztekammern, wie von den Kassenärztlichen Vereinigungen, aber auch von den Landesdatenschutzbeauftragten empfohlen, wird allerdings auch wohl gesetzlich zwingend erforderlich sein, da der Arzt bzw. das Krankenhaus als datenverarbeitende Stelle den Normen des Bundesdatenschutzgesetzes unterliegt.


Die elektronisch geführte Behandlungsdokumentation muss durch Passwort zugangsgesichert sein. Ferner muss von vornherein festgelegt werden, wie der Zugang auf die berechtigten Ärzte und Mitarbeiter beschränkt ist. Nichtärztliche Beschäftigte, die in die Bearbeitung der Patientenakte eingebunden sind, sei es durch das Anfertigen und Speichern von Schriftsätzen durch Sekretariatsmitarbeiter oder das Archivieren von Patientenakten durch Archivmitarbeiter bzw. die Auswertung von Patientendaten zum Zweck der Abrechnung der Vergütungsansprüche für die Behandlung, müssen zur Verschwiegenheit verpflichtet worden sein.


Die Software sollte die Möglichkeit bieten, dass die Nutzungen des Datenbestandes protokolliert werden, sodass der Urheber jeder Eintragung, aber auch der jeweilige Nutzer im elektronischen Verkehr identifizierbar ist.


Soweit ein externer Dienstleister das EDV-System betreut, wartet oder bearbeitet, muss durch Unterzeichnung schriftlicher Verschwiegenheitsverpflichtungen sichergestellt sein, dass die Mitarbeiter des Dienstleisters das Gebot des Datenschutzes und der ärztlichen Verschwiegenheit in ihrer Person wahren. Insofern sind auch die einzelnen Maßnahmen, die am EDV-System durchgeführt werden sowie die Namen der Wartungspersonen zu protokollieren. Verantwortlich hierfür ist der Arzt bzw. im Krankenhaus der Krankenhausträger.


Der Schutz vor Einsichtnahme Dritter ist nicht nur bei der elektronischen Patientendatenverarbeitung, sondern auch bei der papiergebundenen Patientenakte relevant. Um dies zu gewährleisten, müssen im Krankenhausbetrieb auf Stationen und in den Praxen Vorsorgemaßnahmen ergriffen werden, damit unbefugte Dritte oder andere Patienten nicht in die Patientenakte Einsicht nehmen können. Für die papiergebundene Patientenakte gilt, dass diese weder im Empfangsbereich noch in offen zugänglichen Arbeitsräumen der Mitarbeiter/Pflegekräfte oder in den Behandlungsräumen ungeschützt deponiert werden dürfen. Papierpatientenakten sind in verschließbaren Aktenschränken aufzubewahren. Sie dürfen nicht so bereit gelegt werden, dass andere Patienten, etwa in der  Behandlungsreihenfolge später oder früher zu behandelnde Patienten in Behandlungs- oder Empfangsräumen die Möglichkeit zur Einsichtnahme haben. Bei elektronisch geführter Patientenakte sind die Computerbildschirme so zu schützen, dass sie nur von dem Arzt oder den Praxispersonal eingesehen werden können. Insofern ist ärztliches und pflegerisches Personal so zu schulen, dass nach der Nutzung des Computers zwingend der Bildschirmschoner einzuschalten ist oder die Standby-Zeiten auf ein Mindestmaß verkürzt werden.


2. Aufbewahrung nach Abschluss der Behandlung

Eine ärztliche Behandlung gilt als abgeschlossen, wenn der Behandlungsprozess, der durch die Erkrankung des Patienten erforderlich wurde, abgeschlossen ist. Für das Krankenhaus gilt die Besonderheit, dass mit der Entlassung des Patienten aus der stationären Behandlung der Behandlungsprozess als abgeschlossen gilt. Davon ausgenommen sind Konstellationen des nicht komplikationslosen Verlaufes und solche Fallgestaltungen, die zu Fallzusammenführungen im sozialversicherungsrechtlichen Sinne führen. Allgemein ist aber von dem Prinzip auszugehen, dass mit der Entlassung des Patienten aus der stationären Behandlung der Behandlungsfall abgeschlossen ist und die Patientenakte zu schließen ist.


Problematisch ist die Aufbewahrung von Patientenakten in den Fällen, in denen eine Art Hybriddokumentation verwendet wird, also zum Teil unter Nutzung eines elektronischen Datenerfassungssystems und zum Teil mit Papierakte. In diesem Fall stellt sich die Frage, ob der Gesetzgeber unter Aufbewahrung der Patientenakte die Aufbewahrung der Papierakte verstanden hat oder ob auch die Papierakte nachträglich in eine elektronische Form umgewandelt und dann

aufbewahrt werden darf. Alle Dokumente, die in unterschriebener Form vorliegen, z. B. Arztbriefe (auch externe), Epikrisen etc., haben die Qualität einer Urkunde. Damit erreichen sie im Fall eines gerichtlichen Verfahrens den Rang eines vollen Beweismittels. Werden derartige Urkunden im Zuge der Archivierung der Patientenakten eingescannt, verringert sich deren Beweiswert insofern, als diese ausschließlich noch als sogenannter Augenscheinsbeweis gewertet werden können und nicht mehr als Urkunde den vollen Beweiswert innehaben. Andererseits wäre eine zusätzliche Aufbewahrung der schriftlichen Bestandteile der Patientenakte mit zusätzlichem massiven personellen und ökonomischen Aufwand verbunden, sodass sich die Frage stellt, ob es nicht sinnvoller ist, trotz der vorstehend geäußerten Bedenken zur Beweisqualität gescannter Elemente den Weg des ersetzenden Scannens zu beschreiten.


Jedenfalls kann Unterzeichner die Bedenken, dass womöglich wegen des ersetzenden Scannens von Patientenakten und –bestandteilen die negative Beweiswirkung des § 630 h) Abs. 3 BGB eintritt, nicht teilen. Schließlich macht der Gesetzgeber die negative Beweiswirkung nicht davon abhängig, dass die Patientenakte in allen Bestandteilen im Original aufzubewahren ist.


Zudem könnte durch ein zertifiziertes Scannverfahren, das ein nachträgliches Eingreifen in die gescannten Dokumente und deren Änderung verhindert, die Beweiswirkung aufrechterhalten bleiben. Dazu hat das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) die technische Richtlinie 03138 ersetzendes Scannen erlassen, die einen Scannverfahrensweg in drei Schritten vorgibt, mit dem Scannprozesse durchgeführt werden und dabei der Urkundenbeweis gleichwohl gewahrt wird (vgl.: Antrag auf (Re-)Zertifizierung als Auditor RESISCAN für BSI-TR 03138 (Stand 11/2017)). Soweit also der Weg des ersetzenden Scannens nach der technischen Richtlinie des BSI beschritten wird, bestehen keine Bedenken der Zusammenführung einer hybridgeführten Patientenakte im Rahmen der Archivierung.


3. Aufbewahrungsfristen

Obgleich der Gesetzgeber für die Aufbewahrung der Patientenakte in § 630 f) Abs. 3 BGB eine Frist von 10 Jahren festgelegt hat (beginnend nach Abschluss der Behandlung), ist darauf hinzuweisen, dass im Bereich der ärztlichen Patientenbehandlung immer noch eine schier unübersichtliche Zahl von differierenden Aufbewahrungsfristen besteht. Abweichende Fristen, die die Zehnjahresfrist deutlich überschreiten, werden nachstehend exemplarisch benannt


  • Behandlung mit radioaktiven Stoffen und ionisierenden Strahlen gemäß § 85 Abs. 3 StrlSchV, § 28 RöV = 30 Jahre
  • Anwendung von Blutprodukten zur Therapie, z. B. von Hämastasestörungen = 30 Jahre


Soweit eine Gefahr der Inanspruchnahme mit Schadenersatzansprüchen wegen Behandlungsfehlern besteht, ist zu beachten, dass die lange Verjährungsfrist des § 199 Abs. 2 BGB von 30 Jahren eingreifen könnte (hier ist dringend zu empfehlen, die betroffenen Patientenakten aus dem hinterlegten Aufbewahrungszeitraster von 10 Jahren auszunehmen).


Die Landesärztekammer bzw. Kassenärztlichen Vereinigungen der Länder veröffentlichen regelmäßig eine Zusammenstellung aller für die ärztliche Tätigkeit relevanten Aufbewahrungsfristen (vgl. https://www.kvhb.de/Aufbewahrungsfristen oder https://www.laekb.de/files/146ADFB1CBB/02Aufbewahrungsfristen.pdf).


Fraglich ist, ob der Patient das Recht hat, vom Arzt eine längere Aufbewahrung der Patientenakten als gesetzlich geregelt zu verlangen. Derartige Fallgestaltungen kommen allenfalls bei Konstellationen zum Tragen, die im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Ablauf der Aufbewahrungsfrist stehen und wenn im Vorfeld dem Patienten eine Einsicht in die Patientenakte (aus welchen Gründen auch immer) verwehrt wurde. Wenn dann der Patient eine über die gesetzlichen Fristen hinausgehende Aufbewahrung zum Zweck der Beweissicherung verlangt, müsste der Arzt bzw. der Krankenhausträger diesem Verlangen entsprechen, anderenfalls käme eine Bewertung eines ablehnenden Verhaltens als beweisvereitelnd in Betracht. Ein solches Verhalten würde gegen Treu und Glauben verstoßen und womöglich die negativen Beweislastfolgen des § 630 h) Abs. 3 BGB nach sich ziehen.


Die Aufbewahrungspflicht bleibt bis zum Ablauf der Aufbewahrungsfrist auch bestehen, wenn der Patient vor Ablauf der Aufbewahrungsfrist verstirbt.


Verstirbt der behandelnde Arzt, bleibt ebenfalls die Aufbewahrungspflicht in Gestalt der den Arzt Beerbenden erhalten. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Arzt im eigenen Namen die ärztliche Behandlung durchgeführt hat. Für den Krankenhausbereich ist dies nur insofern relevant, als der Arzt die Befugnis hat, privat versicherte Patienten zu behandeln, wobei es nicht darauf ankommt, ob das Recht zur Rechnungslegung auf den Krankenhausträger übertragen worden ist. Partner des Behandlungsvertrages im Wahlarztvertrag ist der behandelnde Arzt. Demzufolge trifft ihn auch die Pflicht zur Aufbewahrung der Patientenakten und nicht den Krankenhausträger. Davon abweichende Regelungen sind möglich, führen aber nicht zu einer Pflichtenverlagerung im Außenverhältnis zwischen Arzt und Patient.


Bei Praxisaufgabe gelten die Aufbewahrungspflichten in der Person des behandelnden Arztes fort.


Wird die Praxis auf einen Nachfolger übertragen, kann im Innenverhältnis zwischen übergebenden und übernehmenden Arzt die Übertragung der Aufbewahrungspflicht vereinbart werden. Der Praxisnachfolger muss dann im Verhältnis zum Patienten für die Wahrung des Patientendatenschutzes über eine adäquate Verschlusssicherheit sorgen, hat selbst aber nur dann eine Einsichts- und Weitergabebefugnis, wenn der Patient darin einwilligt. Für den Praxisnachfolger gilt daher das sogenannte „Zwei-Schränke-Modell“, das die Schaffung eines virtuellen Patientenaktenschrankes für die übernommenen Altakten des Praxisübergebers vorschreibt.



VI. Patientenakte und Pflegedokumentation


Die Patientenakte wird nicht nur für ärztliche Eintragungen, sondern insbesondere auch für Eintragungen durch Pflegekräfte, Physiotherapeuten und den Sozialdienst genutzt.


Auch derartige dokumentatorische Einträge unterfallen dem oben unter III. dargestellten Zweck der Behandlungsdokumentation. Die pflegerische Dokumentation ist gleichwertig zur ärztlichen Dokumentation und steht gleichzeitig daneben. Die pflegerische Dokumentation ist ebenso eine notwendige Informationsquelle im Rahmen der Arbeitsteilung bei der Behandlung des Patienten. Durch die unterschiedlichen funktionellen Behandlungspflichten im Verhältnis zwischen Arzt und Pflegekraft sowie durch Einsatz von Dienstsystemen, aber auch das Auftreten von Krankheits- und Ausfallzeiten macht es sich notwendig, die notwendigen pflegerischen Informationen zur Absicherung einer angemessenen Versorgung zu dokumentieren. Ohne eine derartige schriftliche Dokumentation ist die Wahrung der Qualität der Pflege nicht sicherzustellen. Allein die mündliche Weitergabe von Informationen wäre unter Berücksichtigung einer großen Anzahl von an der Behandlung beteiligen Personen viel zu aufwändig und würde auch die Gefahr des Informationsverlustes mit sich bringen. Deswegen ist die schriftliche oder elektronische Dokumentation der ärztlichen und der pflegerischen Leistungen unabdingbar.


Was müssen Pflegekräfte dokumentieren?

Die Dokumentation der pflegerischen Leistungen bezieht sich inhaltlich, d. h. strukturell auf


  • Pflegeaufklärung
  • Pflegeanamnese
  • Pflegediagnose
  • Pflegeplanung
  • Pflegedurchführung
  • Personalien
  • Pflegezeit, -dauer


Dabei muss natürlich auch das Gebot beachtet werden, dass die akute Pflege und Behandlung des Patienten selbst im Vordergrund steht, also nicht jedwede pflegerische Leistung zu dokumentieren ist. Insofern sind auch die Dokumentationsanforderungen im Bereich der Grundpflege und der Behandlungspflege unterschiedlich stark ausgeprägt.


Die Grundpflege, d. h. die Körperpflege und die Essensversorgung (einschließlich der Essensreichung) ist grundsätzlich dann nicht dokumentationspflichtig, wenn sich nicht Besonderheiten hinsichtlich dieser Bereiche ergeben; etwa wenn ein kachektischer Patient Nahrungsaufnahme verweigert oder Nahrung zu sich nimmt bzw. Patienten, die sich bislang selbst versorgen konnten, dies infolge der Erkrankung nicht mehr können.

Dagegen ist die Behandlungspflege, d. h. die Medikamentengabe, Injektionen, physiotherapeutische Behandlungen o. Ä. dokumentationspflichtig.


Es gilt der sogenannte Wesentlichkeitsgrundsatz, wonach Selbstverständlichkeiten und Routinearbeiten nicht dokumentiert werden müssen, sondern Besonderheiten, Auffälligkeiten und Abweichungen von normalen Versorgungsabläufen. In der Pflegedokumentation zu findende Einträge, wie „Patient ist im Haus unterwegs“, „Patient geht es gut“, „Patient ist mobil“ haben also nur dann einen Dokumentationswert, wenn diese Einträge nicht die eigentlich normale Situation des Patienten wiedergeben, sondern im Fall der letztgenannten Zitate eine Genesung dokumentieren sollen bzw. im Fall des erstgenannten Zitats darauf hinweisen, dass der Patient infolge regelmäßiger Abwesenheit nicht zur Behandlung zur Verfügung steht. Je komplexer, schwieriger und atypischer ein Behandlungsverlauf verläuft, desto intensiver und genauer ist auch pflegerisch zu dokumentieren.


Dokumentationsmittel


Die Dokumentationsmittel sind so zu gestalten, dass diese für eine 24-stündige, d. h. durchgehende Dokumentation der Pflege geeignet sind. Als Dokumentationsmittel kommen in Betracht:


  • Stammblatt/Pflegeanamnese
  • Pflegeplanung
  • Pflegebericht/Pflegeverlauf
  • ärztliches Verordnungsblatt als Basis für die daraus abzuleitenden Pflegemaßnahmen
  • Durchführungsnachweise zur Darstellung der Tätigkeiten und Abzeichnung durch die Pflegekraft
  • soweit erforderlich Beobachtungs- und Überwachungsbögen
  • Medikationsblätter etc.


Dokumentationsgrundsätze: Authentizität und Verständlichkeit

Auf Grund der Beweisfunktion einer Patientenakte und der dienenden Funktion im Rahmen der arbeitsteiligen Behandlung muss die Dokumentation der Behandlung und Pflege wahrheitsgemäß und klar verständlich erfolgen.


Unter Dokumentationswahrheit versteht man das Verbot der schriftlichen Lüge. Wegen der Funktion der Patientenakte im Sinne der Weitergabe von behandlungsrelevanten Informationen und weil die Patientenakte Beweiswert im Rechtsverkehr besitzt, also die Eintragungen in der Patientenakte die Richtigkeit und Vollständigkeit in sich tragen, gilt das Gebot der objektiven Wahrheit der Eintragung.


Die Dokumentation muss ferner vollständig sein. Dazu gelten die Ausführungen zur Dokumentation der wesentlichen pflegerischen Tatsachen und ihrer Relevanz im Behandlungsprozess.


Teilfunktion der Wahrheit von Dokumentationsleistungen ist die zeitliche Nähe der Eintragung zur eigentlichen Behandlungsmaßnahme. Das bedeutet, dass zwar nicht nach jedem Arbeitsschritt, jedoch bis spätestens zum Abschluss des jeweiligen Dienstes des Dokumentationspflichtigen die Dokumentationsleistung erfolgen soll. Es wäre zwar sinnvoll, nach jeder einzelnen Pflegehandlung diese sofort zu dokumentieren, dafür wäre aber die permanente Mitführung der Patientenakte oder die Präsenz von elektronischen Medien am „Mann“ erforderlich. Entscheidend ist, dass die Dokumentationsleistung durch die Pflegekraft selbst vorzunehmen ist und nicht delegiert werden darf.


Außerdem muss die Dokumentation zeitlich kontinuierlich erfolgen.


Der jeweilige Krankenhausträger muss seine Mitarbeiter im Umgang mit den Dokumentationssystemen schulen, damit dieses vereinheitlicht angewendet wird und dabei auf


Schreibdisziplin, Strukturdisziplin und Sprachdisziplin


drängen.


Der Arzt kann im Einzelfall seine Dokumentationsleistungen auf einen Dritten delegieren, muss diese dann aber nachträglich (zeitnah) abzeichnen. Dagegen darf die pflegerische Dokumentation von der Pflegekraft nicht delegiert werden. Der Grundsatz der Eigenhändigkeit bleibt bestehen.


Der temporäre Aspekt der Dokumentation ist auch zu beachten, wenn es um den Zeitpunkt der vorzunehmenden Eintragungen geht. Eine Dokumentation darf grundsätzlich erst im Nachhinein und nicht vorweggenommen werden. Sie erfolgt also retrospektiv.


Nachträgliche Berichtigungen und Ergänzungen sind möglich (allerdings nur zeitnah und als solche mit Datums- und Namenskürzel zu vermerken). Eine Verwendung von „Tintenkillern“, „Tipp-Ex“ oder Klebeetiketten ist wegen der Beeinträchtigung des Urkundencharakters verboten. Unleserliche Textpassagen dürfen weder geschwärzt noch anderweitig gelöscht werden. Sie können durchgestrichen und neu geschrieben werden. Prinzipiell muss auch der korrigierte Dokumentationstext stets lesbar sein.


In der täglichen Praxis kommt es regelmäßig vor, dass handschriftliche Eintragungen schwer oder nicht lesbar sind, weil entweder die Handschrift des Dokumentationspflichtigen derart „abgenutzt“ ist oder Abkürzungen verwendet werden, die nicht allgemeingebräuchlich sind. Hier ist durch den verantwortlichen Chefarzt einer Klinik, aber auch durch die Stations- und Pflegedienstleitung darauf zu achten, dass eine entsprechende Schreibdisziplin gewahrt wird, insbesondere bei Auswertung der Patientenakte im Rahmen des Behandlungsabschlusses. Im Zuge der Strukturierung von Pflegeeintragungen kann auch die Nutzung von Symbolen vorgegeben werden.


So hat die Rechtsprechung eine symbolhafte Zeichnung von zwei Hasenohren zum Nachweis der Operationslagerung in „Häschenstellung“ als ausreichend erachtet.


Standardgewährleistung durch Krankenhausträger

Die Einhaltung der Dokumentationsstandards ist Aufgabe des Krankenhausträgers. Dieser muss durch Schulungen der Mitarbeiter sicherstellen, dass die Dokumentationsprinzipien gewahrt werden. Die Mitarbeiter, die hierüber die Fachaufsicht führen (Chefärzte und Stationsleitungen) müssen durch Einarbeitung ihrer Kollegen und Stichproben dafür sorgen, dass Aufbau und inhaltliche Abfolge von Eintragungen den Vorgaben der Dokumentationssysteme entsprechen.


Die Nutzung der medizinischen Fachsprache ist selbstverständlich möglich. Es müssen keine verdeutschten Fachbegriffe verwendet werden. Allerdings ist als Dokumentationssprache die deutsche Sprache zu verwenden, nicht etwa englische Sprache. Sollte aus Gründen der überwiegenden Beteiligung fremdsprachiger Mitarbeiter der Einsatz einer anderen Sprache als deutsch in Betracht kommen, ist dies vorher abzustimmen. Allerdings muss dann auch sichergestellt sein, dass alle an der Dokumentation beteiligten Mitarbeiter ein entsprechendes englisches Sprachniveau haben. Da in diesem Zusammenhang erhebliche rechtliche Probleme auftreten, ist es nicht zu empfehlen, einen derartigen Wechsel der medizinischen Fachsprache bei der Dokumentation durchzuführen. Dagegen ist die Verwendung lateinischer Fachbegriffe in der Medizin üblich und zählt auch zum üblichen Sprachgebrauch.


Zum Prinzip der Klarheit der Dokumentation zählt auch die Bestimmtheit von Eintragungen. Eintragungen, wie „der Patient hat Schmerzen“, „dem Patient geht es nicht gut“, „dem Patient ist unwohl“ finden sich bedauerlicherweise immer wieder in der Pflegedokumentation, sind aber für die Bewertung der dahinterstehenden gesundheitlichen Probleme unbeachtlich. Demzufolge haben sie auch keine Beweisfunktion. Bei derartigen Konstellationen muss die Pflegekraft die Problemsituation deutlich schildern, etwa die Darstellung der Art der Schmerzen und der Verortung dieser. Insofern ist der zu dokumentierende Sachverhalt quantitativ und qualitativ aufzubereiten und darzustellen. Zur Konkretisierung der Problemsituation des Patienten darf auch die Sprachebene des Patienten eingebracht werden. Dabei ist allerdings auch die Würde des Patienten zu beachten (ausgeschlossen ist die Wiedergabe von Äußerungen des Patienten, die herabwürdigenden Charakter in Bezug auf den Patienten hätten).


Bilddokumentation
Bei der Bilddokumentation ist das verfassungsrechtlich geschützte Recht am Bild des Menschen zu berücksichtigen. Gleichwohl sind Bilddokumentationen, wenn sachliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, gerechtfertigt. Sie verstößt insbesondere dann nicht gegen das Persönlichkeitsrecht des Patienten, wenn die Aufnahmen vor einem medizinischen Hintergrund gemacht werden. Dabei ist auf der Bilddokumentation der Zeitpunkt, die Patientendaten sowie der Hersteller des Bildes zu erfassen.


Anhand einer Bilddokumentation müssen medizinische Sachverhalte erkennbar sein, so etwa auch Fort- und Rückschritte eines Pflegeprozesses.