Arbeitsrecht I/2009

Thema: Neue Rechtsprechung im Arbeitsrecht 2009    

Die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung der letzten Jahre ist von einer Tendenz gekennzeichnet, die stärker den Blickwinkel der Arbeitnehmerrechte in den Fokus nimmt. 


Die Arbeitgeber müssen daher bei der Durchführung von Personalmaßnahmen verstärkt auf Veränderungen der Rechtsprechung reagieren. 

Nachstehend haben wir Ihnen eine Auswahl von Entscheidungen, kommentiert, zur Verfügung gestellt, die aus unserer Sicht für die tägliche Personalpraxis von Bedeutung sind. 


I. Der Arbeitnehmer kündigt selbst und erhält Abfindung LAG Rheinland Pfalz, 12.04.2009 - 3 Sa 701/08
II. Ist die Teilnahme am Personalgespräch Arbeitspflicht? BAG 23.06.2009 - 2 AZR 606/08
III. Urlaub und Krankheit - Urlaubsabgeltung kein genereller Verfall am 31.03.
      BAG 24.03.2009 - 9 AZR 983/07
IV. BAG setzt Grenze für Lohnwucher auf 2/3 BAG 22.04.2009 - 5 AZR 436/08
V. Keine Anrechnung von Zwischenverdienst bei Freistellung nach Kündigung
     LAG Rheinland Pfalz, 23.04.2009 - 11 Sa 751/08 
VI. Urlaubsanrechnung bei Freistellung nach Kündigung BAG 19.05.2009 - 9 AZR 433/08
VII. Die gegenläufige betriebliche Übung ist gestorben BAG 18.03.2009 - 10 AZR 281/08
VIII. Private Dienstwagennutzung nach Ablauf Entgeltfortzahlungszeitraum?
       LAG Baden-Württemberg, 25.07.2009 - 15 Sa 25/09


I. Der Arbeitnehmer kündigt selbst und erhält Abfindung LAG Rheinland Pfalz,12.04.2009-3 Sa 701/08 

Kaum zu glauben, aber wahr. In einem Verfahren vor dem Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz wurde einem Arbeitnehmer, der das Arbeitsverhältnis zu seinem Arbeitgeber wegen ausgebliebener Lohnzahlungen außerordentlich     

gekündigt hatte, eine Abfindung als Schadenersatz für die Auflösung des Arbeitsvertrages zugesprochen. Das LAG Rheinland-Pfalz urteilte, dass der Klägerin, die wegen Ausbleiben des Lohns in den vergangenen 9 Monaten das Arbeitsverhältnis nach Abmahnung fristlos gekündigt hatte, eine Abfindung von 6.350,00 € zusteht. Der Arbeitgeber hatte durch die unpünktlichen Lohnzahlungen die Auflösung des Arbeitsverhältnisses veranlasst. Die Arbeitgeberin wurde zum Ersatz des der Klägerin durch die Auflösung des Arbeitsverhältnisses entstandenen Schadens verpflichtet, weil die Eigenkündigung der Arbeitnehmerin durch vertragswidriges Verhalten (Lohnverzug) der Arbeitgeberseite veranlasst wurde. Der Arbeitgeber hatte zeitweise Liquiditätsprobleme. Der Arbeitnehmerin wurde, ähnlich wie im Kündigungsschutzverfahren, welches der Arbeitnehmer gegen eine Kündigung des Arbeitgebers durchführen kann, eine Abfindung in analoger Anwendung der §§ 9, 10 Kündigungsschutzgesetz zugesprochen. 

Dieses Urteil beinhaltet ganz erheblichen Sprengstoff für Arbeitgeber, die sich, möglicherweise sogar unverschuldet, in Liquiditäts- und Finanzkrisen befinden. Gerade im Osten Deutschlands verfügen nicht alle Unternehmen über eine hinreichend starke Kapitaldecke, die in Zeiten der Krise zur Existenzerhaltung herangezogen werden kann. Demzufolge ist zu vermuten, dass gerade in den neuen Bundesländern das Urteil des LAG Rheinland-Pfalz vom 12.04.2009 die Runde machen wird. 

II. Ist die Teilnahme am Personalgespräch Arbeitspflicht? BAG 23.06.2009 - 2 AZR 606/08

Das Bundesarbeitsgericht musste kürzlich die Frage entscheiden, ob die Teilnahme an einem Personalgespräch eine arbeitsvertragliche Pflicht des Arbeitnehmers darstellt. Ein Arbeitgeber, der unter den Geltungsbereich des "Tarifwerkes" der Kirche/AVR-K fiel, verlangte von seinen Arbeitnehmern, sich an Einzelpersonalgesprächen zu beteiligen, in denen mit den Arbeitnehmern über nach Ansicht des Arbeitgebers notwendige arbeitsvertragliche Veränderungen gesprochen werden sollte. 

Eine Arbeitnehmerin verweigerte die Teilnahme an dem Personalgespräch. Sie sei bereit, gemeinsam in Anwesenheit aller Arbeitnehmer über die arbeitsvertraglichen Veränderungen mit der Betriebsleitung zu verhandeln. Dies wiederum lehnte die Arbeitgeberin ab und erteilte der Arbeitnehmerin, nachdem diese sich weiterhin weigerte, ein Einzelpersonalgespräch zu führen, eine Abmahnung. 

Die gegen die Abmahnung gerichtete Klage der Arbeitnehmerin hatte vor dem LAG Niedersachsen Erfolg. Die dagegen gerichtete Revision des Arbeitgebers blieb beim Bundesarbeitsgericht erfolglos. Damit bestätigte letztlich das Bundesarbeitsgericht die Rechtsauffassung, dass ein Arbeitnehmer nicht verpflichtet sei, mit dem Arbeitgeber ein Personalgespräch zu führen, das ausschließlich die Änderung von Arbeitsbedingungen, hier auf Grund wirtschaftlicher Schwierigkeiten des Arbeitgebers zum Gegenstand hat. 

Das zivilrechtliche Prinzip der Vertragsabschlussfreiheit würde eine Verpflichtung des Arbeitnehmers, an Personalgesprächen teilzunehmen, die nur die Veränderung von Arbeitsbedingungen zum Gegenstand haben, verbieten. 

Arbeitgeber sind demnach nicht berechtigt, Arbeitnehmer zur Teilnahme an einem Personalgespräch  zu verpflichten, dessen einziger Zweck darin besteht, über Änderungen von Vertragsbedingungen zu sprechen. 

Hinweis: Anders ist es, wenn der Arbeitgeber ein Personalgespräch über Themen führt, die dem Weisungsrecht des § 106 Gewerbeordnung unterliegen. Der Arbeitgeber ist weisungsberechtigt bezüglich Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung sowie Ordnung und Verhalten im Betrieb. Alle Gesprächsgegenstände, die durch dieses Weisungsrecht erfasst sind, verpflichten den Arbeitnehmer, an Personalgesprächen teilzunehmen. 

    
III. Urlaub und Krankheit - Urlaubsabgeltung kein genereller Verfall am 31.03.  BAG 24.03.2009 - 9 AZR 983/07


Arbeitnehmer und Arbeitgeber wussten bislang stets, dass der Urlaub des Arbeitnehmers im laufenden Urlaubsjahr, spätestens jedoch bis zum 31.03. des Folgejahres in Anspruch zu nehmen war. Geschah dies nicht, verfiel der Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers spätestens am 31.03. des Folgejahres. Abweichungen davon gab es nur in Tarifverträgen, so etwa in den Tarifverträgen für den Öffentlichen Dienst, die eine Übertragung des Urlaubs bis zum 30.06. des Folgejahres ermöglichten. 

Eine 28-jährige Erzieherin, die von Mitte August 2005 bis Ende Januar 2007 an einer Ganztagsgrundschule im Raum Köln beschäftigt war, veranlasste nunmehr das Bundesarbeitsgericht zur Änderung seiner Rechtsprechung. Die Arbeitnehmerin erlitt im Juni 2006 einen Schlaganfall und war daraufhin bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses am 31.01.2007 ununterbrochen arbeitsunfähig. Bis zum Eintritt der Krankheit hat sie noch keinen Urlaub, weder für 2005 noch für 2006 in Anspruch genommen. Mit ihrer Klage verlangte die Erzieherin nunmehr die Bezahlung der auf Grund  ihrer  Arbeitsunfähigkeit  nicht  in  Anspruch  genommenen Urlaubstage. Das Bundesarbeitsgericht änderte mit seinem Urteil vom 24.03.2009, 9 AZR 983/07 seine bisherige Rechtsprechung, wonach ein Arbeitnehmer keinen Anspruch auf Urlaubsabgeltung hat, wenn er bis zum Ende des Urlaubsjahres bzw. des Übertragungszeitraumes wegen Arbeitsunfähigkeit den Urlaub nicht in Anspruch nehmen konnte. Damit wurde das gesetzliche Urlaubsrecht, welches im Bundesurlaubsgesetz geregelt ist, hinsichtlich der Verfall- und Abgeltungsregeln neu justiert. Die Vorgabe dafür lieferte der Europäische Gerichtshof mit seiner Entscheidung vom 20.01.2009, Rs C-350-06 in Sachen "Schultz-Hoff" , in der der EuGH darauf hinwies, dass die gesetzlichen Verfallregeln des Bundesurlaubsgesetzes nicht europarechtskonform sind. 

Dadurch ist der arbeitsunfähigen Erzieherin, die in den ersten beiden Instanzen unterlegen war, der gesetzliche Mindesturlaub für 2005 und 2006 nachzuzahlen. 

Die Urteile stellen eine erhebliche Erleichterung für die Urlaubsansprüche für langzeitarbeitsunfähige Arbeitnehmer dar. Der gesetzlich garantierte Mindesurlaub von 4 Wochen ist damit bei Erkrankung über das Urlaubsjahr und den Übertragungszeitpunkt (31.03. des Folgejahres) hinaus quasi nicht verfallbar und kumuliert sich bei langjähriger Arbeitsunfähigkeit. Ist also ein Arbeitnehmer mehrere Jahre arbeitsunfähig und konnte er deswegen den Urlaub nicht nehmen, so hat er bei Wiedergenesung einen Anspruch auf den in dieser Zeit insgesamt angefallenen Mindesturlaub. Endet das Arbeitsverhältnis in der Krankheitsphase, kommen erhebliche Abgeltungsansprüche auf den Arbeitgeber zu. Das gilt auch für bereits vergangene Zeiträume, sogar rückwirkend bis zum August 2006. 

Die Arbeitgeber werden dieser veränderten Situation nicht tatenlos zusehen. Dabei ist anzumerken, dass diese Rechtsprechung sich nur auf den gesetzlichen Mindesturlaub (24 Werktage bei 6-Tage-Woche und 30 Werktage bei 5-Tage-Woche) bezieht. Gewährt der Arbeitgeber darüber hinaus zusätzliche vertragliche Urlaubsansprüche, was häufig vorkommt, so verbleibt es bei der bisherigen gesetzlichen Verfallregelung zum Ende des Kalenderjahres/des Übertragungszeitraumes 31.03. So werden Arbeitgeber übergesetzliche Urlaubsansprüche nur dann vertraglich vereinbaren, wenn diese spätestens am 31.03. des Folgejahres verfallen. Es ist auch damit zu rechnen, dass Arbeitgeber wegen dieser Konstellation nur noch gesetzliche Mindesturlaubsansprüche vertraglich gewähren. 

Bedeutsam ist weiter die Frage, wie Arbeitgeber mit den Arbeitsverhältnissen von dauerkranken Arbeitnehmern umgehen. Bislang beschränkte sich die Kostenlast der Arbeitgeber auf den Entgeltfortzahlungsanspruch für die ersten 6 Wochen der Erkrankung. Bei lang andauernder Erkrankung der Arbeitnehmer hatten Arbeitgeber keine weitergehenden finanziellen Belastungen. Nunmehr ergibt sich aus dem sich jeweils kumulierenden Urlaubsanspruch ein versteckter Kostenfaktor für den Arbeitgeber, der diesen veranlassen könnte, das Arbeitsverhältnis mit dem Arbeitnehmer früher als sonst üblich durch Kündigung zu beenden. 

So sei vor dem Hintergrund von gerichtlicher Entscheidung und alltäglicher Praxis die Frage erlaubt, welche effektiven Vorteile der Arbeitnehmerschaft durch diese Rechtsprechungsänderung tatsächlich entstehen.  

IV. BAG setzt Grenze für Lohnwucher auf 2/3 BAG 22.04.2009 - 5 AZR 436/08

Die allgemeinen arbeitsmarktpolitischen Bestrebungen, einen, wenn nicht branchenübergreifenden, so jedoch mindestens branchenspezifischen Mindestlohn zu statuieren, um Tendenzen des Lohndumpings entgegen zu steuern, sind allgemein bekannt. Nunmehr hat das Bundesarbeitsgericht in einer Entscheidung vom 22.04.2009 - 5 AZR 436/08 deutlich gemacht, wann die Grenzen von Lohnwucher erreicht sind. 

Eine als ungelernte Hilfskraft in einem Gartenbaubetrieb eingestellte Arbeitnehmerin erhielt einen Stundenlohn von 3,26 € netto. Daneben bekam sie Sachleistungen, insbesondere eine Wohngelegenheit auf dem  Gelände des Betriebes. Der Arbeitgeber war nicht an einen Tarifvertrag gebunden. Die Arbeitnehmerin verlangte nunmehr von dem Arbeitgeber Lohn auf Basis tariflicher Vergütung in Höhe von 7,48 € und begründete dies damit, dass ihr Stundenlohn (3,26 €) weniger als 50 % des Tariflohns dieser Branche sei. 

Das Bundesarbeitsgericht erklärte, dass in diesem Fall der Tatbestand des Lohnwuchers gegeben sei, wenn die Arbeitsvergütung nicht einmal 2/3 eines der betreffenden Branche und Wirtschaftsregion üblicherweise gezahlten  Tariflohns  erreicht.  Diese  Grenzziehung  auf  einen  Wert  von  2/3  der  üblichen  Vergütung  ist erstmalig vorgenommen worden und stellt damit sowohl für Arbeitgeber als auch für Arbeitnehmer eine sichere Beurteilungsgrundlage für Lohnvereinbarungen außerhalb tariflicher Regelungen dar. 


V. Keine Anrechnung von Zwischenverdienst bei Freistellung nach Kündigung  LAG Rheinland Pfalz, 23.04.2009 - 11 Sa 751/08 

Arbeitgeber, die das Arbeitsverhältnis von Arbeitnehmern mit einer Kündigungsfrist kündigen, stellen diese häufig mit sofortiger Wirkung von ihrer Arbeitsverpflichtung frei. Dies führt dann dazu, dass Arbeitnehmer bis zum Ablauf der Kündigungsfrist ihre Arbeitspflicht nicht mehr erfüllen müssen, jedoch die volle Arbeitsvergütung erhalten. Während der Kündigungsfrist können Arbeitnehmer eine andere Arbeitstätigkeit aufnehmen und müssen nicht mit einer Anrechnung des Arbeitsverdienstes auf die Arbeitsvergütung des gekündigten Arbeitsverhältnisses rechnen. Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz hat mit Urteil vom 23.04.2009 - 11 Sa 751/08 der Klage eines Arbeitnehmers stattgegeben, der sich gegen eine Kürzung  seiner Arbeitsvergütung für den letzten Beschäftigungsmonat um 2.700,00 € gewehrt hatte. Der Arbeitgeber hatte erfahren, dass der Arbeitnehmer in diesem Zeitraum ein neues Arbeitsverhältnis aufgenommen hatte und einen Betrag von 2.700,00 € im Monat verdiente. Er meinte, der Arbeitnehmer müsse sich den Verdienst anrechnen lassen, den er mit seiner neuen Tätigkeit erzielt habe. Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz ließ die Kürzung der Arbeitsvergütung nicht zu. Der Arbeitgeber habe den Arbeitnehmer bewusst von der Erbringung seiner Arbeitsleistung freigestellt. Er habe es damit in das Ermessen des Arbeitnehmers gestellt, seine Arbeitskraft anderweitig zu verwerten, da er auf die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers verzichtet habe. 

Arbeitgeber, die häufig die Möglichkeit der Freistellung der Arbeitnehmer während der Kündigungsfrist in Anspruch nehmen, können eine Vergütungsanrechnung aus Zwischenverdienst erreichen, indem sie mit der Freistellung die Erklärung abgeben, dass etwaiger Zwischenverdienst des Arbeitnehmers innerhalb der Freistellungsphase angerechnet werden muss. 


VI. Urlaubsanrechnung bei Freistellung nach Kündigung BAG 19.05.2009 - 9 AZR 433/08

Häufig stellen Arbeitgeber mit dem Ausspruch einer fristgemäßen Kündigung die Arbeitnehmer von ihrer Arbeitspflicht bis zum Ablauf der Kündigungsfrist frei, wobei mit der Freistellung Urlaubsansprüche und Freizeitgewährungsansprüche wegen Überstunden abgegolten sein sollen. Da der Arbeitgeber mitunter nicht sicher ist, ob er auf den Arbeitnehmer in der Kündigungsfrist noch einmal zurückgreifen will, erfolgte in der Vergangenheit die Freistellung regelmäßig nur widerruflich. 

Das Bundesarbeitsgericht hat der Klage einer Arbeitnehmerin auf Abgeltung ihrer Resturlaubstage stattgegeben, obwohl der Arbeitgeber sie nach dem Ausspruch der Kündigung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist widerruflich unter Anrechnung des noch bestehenden Resturlaubsanspruches freigestellt hatte. 

Eine (nur) widerrufliche Freistellung sei grundsätzlich nicht geeignet, den noch offenen Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers zu erfüllen. Vielmehr hätte der Arbeitgeber eindeutig und unmissverständlich die Freistellung erklären müssen. Da der mit der Freistellung vorbehaltene Widerruf die Möglichkeit eröffne, den Arbeitnehmer auf seinen Arbeitsplatz zurückzurufen, würde dies der uneingeschränkten selbstbestimmten Inanspruchnahme des Urlaubsanspruches zuwiderlaufen. 


Hinweis: Der kündigende Arbeitgeber, der den Arbeitnehmer auf keinen Fall innerhalb der Kündigungsfrist beschäftigen möchte und ihn daher freistellen will, sollte dies ausdrücklich "unwiderruflich" erklären. Nur in diesem Fall bewirkt die Freistellung auch die Abgeltung der noch bestehenden Urlaubsansprüche. 


VII. Die gegenläufige betriebliche Übung ist gestorben BAG 18.03.2009 - 10 AZR 281/08


Viele Arbeitgeber, insbesondere solche, die nicht tarifgebunden sind, leisten über das vertragliche Arbeitsentgelt hinaus freiwillige Sonderzahlungen, wie Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld oder Zulagen. Dabei kommt es vor, dass die Arbeitgeber vor der Gewährung dieses Sonderentgelts nicht darauf hinweisen, dass die Sonderzahlung freiwillig erfolgt und keinen Rechtsanspruch für die Zukunft auslöst. Fehlt ein solcher Freiwilligkeitsvorbehalt und hat der Arbeitgeber gleichartige Sonderentgelte mindestens dreimal hintereinander gezahlt, erwächst daraus dem Arbeitnehmer ein dauerhafter Anspruch aus dem Rechtsgrundsatz der betrieblichen Übung. 

Bislang hatte es der Arbeitgeber in der Hand, aus der Verpflichtung kraft betrieblicher Übung wieder auszuscheren, indem der Arbeitgeber bei mindestens drei aufeinander folgenden Zahlungen dieser Sonderentgelte einen Freiwilligkeitsvorbehalt erklären musste. Es galt also das Schema: dreimal vorbehaltslose Zahlung = betriebliche Übung; dreimal Zahlung mit Freiwilligkeitsvorbehalt = gegenläufige betriebliche Übung = kein Rechtsanspruch des Arbeitnehmers für die Zukunft. Dieses Prinzip ist nunmehr durch das BAG abgeschafft worden. Der Arbeitgeber kann also nicht durch dreimal aufeinander folgende Zahlung des Sonderentgelts mit Freiwilligkeitsvorbehalt den Anspruch aus der betrieblichen Übung beseitigen. Damit kommt der Arbeitgeber zumindest formal nicht mehr aus der betrieblichen Übung raus. 

Praxishinweis: 
1. Bevor der Arbeitgeber auch nur eine Zahlung von Sonderentgelten vornimmt, die nicht vertraglich oder tariflich geregelt sind, muss er, auch schon im Arbeitsvertrag ausreichend, deutlich darauf hinweisen, dass derartige Sonderentgelte freiwillig sind und keinen Rechtsanspruch für die Zukunft begründen. 
2. Hat der Arbeitgeber diese Vorsorgemaßnahmen unterlassen, besteht noch die Möglichkeit, durch eine schriftliche Vertragsänderung, die aber Gründe für den Ausstieg aus der Sonderentgeltzahlung angeben muss, den Anspruch zu beseitigen. 

VIII. Private Dienstwagennutzung nach Ablauf Entgeltfortzahlungszeitraum?
LAG Baden-Württemberg, 25.07.2009 - 15 Sa 25/09



Arbeitgeber räumen mitunter Arbeitnehmern das Recht ein, den Dienstwagen auch privat  zu nutzen. Dabei treten immer wieder Fragen zur Beendigung der Privatnutzung bei Versetzung des Mitarbeiters in den Innendienst, Freistellung von der Arbeitspflicht oder länger anhaltender Erkrankung auf. Zuletzt entschied das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg am 27.07.2009, dass im Fall der Erkrankung des Arbeitnehmers das Recht zur Privatnutzung mit dem Ende des Entgeltfortzahlungszeitraums abläuft. Die private Dienstwagennutzung ist ein entgeltgleicher Vorteil, den ein Arbeitgeber als Teil seiner arbeitsvertraglichen Hauptleistungspflicht dem Arbeitnehmer gewährt. Im BGB gelte der Grundsatz "ohne Arbeit kein Lohn". Dieser Grundsatz wird zugunsten der Arbeitnehmer lediglich durch die Regelungen des Entgeltfortzahlungsgesetzes für die Entgeltfortzahlungszeiträume durchbrochen. Nach Ablauf dieser Zeiträume würde aber der allgemeine zivilrechtliche Grundsatz wieder gelten, sodass ein Arbeitnehmer keinen Anspruch auf fortdauernde Privatnutzung des Dienstwagens nach Ablauf der Entgeltfortzahlungszeiträume, dafür aber der Arbeitgeber einen Anspruch auf Herausgabe des Dienstwagens hat. 

Hinweis: Das LAG Baden-Württemberg hat die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen. Diese Sachverhaltsgestaltung ist in der Rechtsprechung hoch umstritten. Es bleibt daher abzuwarten, wie sich das Bundesarbeitsgericht zu dieser Fallgestaltung positioniert, wenngleich auch der vom LAG Baden-Württemberg aufgezeigte Weg durchaus praktikabel, nachvollziehbar und daher empfehlenswert ist. 

Bei generellen und fallbezogenen Fragestellungen wenden Sie sich bitte jederzeit gern an Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Michael Koch. 

Mit freundlichen Grüßen 


Rechtsanwalt Michael Koch                     
Fachanwalt für Arbeitsrecht