Arbeitsrecht 15.06.2018

+++ Arbeitsrechts News +++ Hohe Sprengkraft der Neuregelung des 95 Abs. 2, jetzt 178 Abs. 2 SGB IX Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung +++ Wirksamkeitsvoraussetzung für personelle Maßnahmen

Sehr geehrte Damen und Herren,


wie gewohnt informieren wir Sie über aktuelle Entwicklungen im Arbeitsrecht.


Weitgehend unbeachtet blieb eine bereits zum 30.12.2016 vollzogene Änderung der Aufgaben der Schwerbehindertenvertretung in 95 SGB IX. Diese wollen wir Ihnen nachstehend erläutern.


1. Schwerbehindertenvertretung

In Betrieben und Dienststellen, in denen wenigstens 5 schwerbehinderte Menschen nicht nur vorübergehend beschäftigt sind, werden eine Vertrauensperson und wenigstens ein stellvertretendes Mitglied durch die schwerbehinderten Menschen des Betriebes/Dienststelle als Schwerbehindertenvertretung gewählt. Die Amtszeit der Schwerbehindertenvertretung beträgt 4 Jahre.


Der Aufgabenkreis der Schwerbehindertenvertretung kann allgemein mit der Förderung der Eingliederung schwerbehinderter Menschen in den Betrieb oder die Dienststelle und mit der Vertretung der Interessen der Schwerbehinderten umschrieben werden. Neben vielen konkreten, im SGB IX geregelten, Beteiligungsrechten ist Rir die personalwirtschaftliche Betrachtung das Beteiligungsrecht der Schwerbehindertenvertretung in personellen Einzelangelegenheiten von besonderer Bedeutung.


2. Anhörung bei Kündigung

Nach 95 Abs. 2 Satz I SGB IX (zum 01 „01.2018 ist diese Regelung in 178 Abs. 2 SGB IX überfiihlt worden) hat die Schwerbehindertenvertretung ein Recht auf Unterrichtung und Anhörung in personellen IEinzelangelegenheiten, die schwerbehinderte Menschen beriihren. Diese Regelung 'Wird so verstanden, dass die Schwerbehindertenvertretung vom Arbeitgeber unverzüglich umfassend über den in Rede stehenden Vorgang zu unterrichten und zu der beabsichtigten Personalmaßnahme vorher anzuhören ist. Dieses Unterrichtungs- und Anhörungsrecht steht neben den Beteiligungsrechten des Betriebs-, Personalrats.


Betroffen sind alle Personalmaßnahmen, die einen schwerbehinderten Mitarbeiter erfassen.


Im Rahmen der Verhandlungen des Bundestages zur Gesetzesnovellierung per 30.12.2016 wurde eine Stärkung der Rechte der Schwerbehindertenvertretung dahingehend gefordert, dass Personalmaßnahmen, die ohne Wahrung der Unterrichtungs- und Anhörungsrechte der Schwerbehindertenvertretung ergriffen werden, unwirksam sein sollten. Der Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales beschloss am 30.11.2016 die Unwirksamkeitsfolge allein für eine Kündigung ohne vorherige Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung festzulegen. Dem stimmte der Bundestag in der Sitzung vom 01.12.2016 und der Bundesrat am 16.12.2016 zu.


Somit gilt ab dem 30.12.2016 eine gegenüber einem schwerbehinderten Mitarbeiter ausgesprochene Kündigung, die keine vorherige Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung fand, als unwirksam.


Das Kündigungsrecht gegenüber Schwerbehinderten wird damit noch einmal verschärft. Neben der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes und der Anhörung des Betriebsrates bedarf es somit auch noch der Unterrichtung und Anhörung der Schwerbehindertenvertretung als Wirksamkeitsvoraussetzung.


3. Anhörung zu anderen Personalmaßnahmen

Unabhängig von der Bedeutung der Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung im Kündigungsrecht darf die Relevanz für die sonstigen Personalmaßnahmen nicht unterschätzt werden. Zwar sollen andere Personalmaßnahmen nicht unwirksam sein, gleichwohl hat der Gesetzgeber eine Aussetzungsregelung in 95, 178 Abs. 2 SGB IX aufgenommen:


„Die Durchführung oder Vollziehung einer ohne Beteiligung nach Satz 1 getroffenen Entscheidung ist auszusetzen, die Beteiligung ist innerhalb von 7 Tagen nachzuholen; sodann ist endgültig zu entscheiden."


Für solche Personalmaßnahmen, wie Abmahnungen oder Versetzungen kann die Aussetzungsregelung von ganz erheblicher Bedeutung sein.


Wenn eine Abmahnung ohne Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung ausgesprochen wurde, mag sie zwar rechtswirksam sein, durch den Hinweis im Gesetzestext, dass die Beteiligung nachzuholen und sodann endgültig zu entscheiden ist, kann aber der Personalmaßnahme allenfalls vorläufigen Charakter beigemessen werden.


Demzufolge schwächt sich die Wirkung einer ausgesprochenen Abmahnung gegenüber dem Schwerbehinderten zwangsläufig ab, was Folgen für den Wiederholungsfall, insbesondere als Voraussetzung der Abmahnung fiir eine verhaltensbedingte Kündigung haben dürfte. Zwar liegt diesbezüglich noch keine Rechtsprechung vor, es scheint aber naheliegend, dass die Arbeitsgerichte sich bei fehlender Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung im Sinne der Unverbindlichkeit der Abmahnung positionieren werden. Ähnliches ist für die 'Versetzung oder andere Personalmaßnahmen zu erwarten. Auch im Bereich der öffentlichen Verwaltung wird das Beteiligungsrecht der Schwerbehindertenvertretung eine erhebliche Rolle spielen, insbesondere wenn es um die Versetzung in den vorzeitigen Ruhestand, betriebliche Wiedereingliederung oder um die Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit geht.


4. Aufhebungsverträge sind anhörungsfrei

Die Unwirksamkeitsregelung flir beteiligungslos ausgesprochene Kündigungen ist nicht auf Aufhebungsvereinbarungen zu erstrecken. Jedenfalls geht dies aus der Kommentarliteratur hervor. Das hängt damit zusammen, dass bei einem Aufhebungsvertrag zwischen einem Arbeitgeber und einem schwerbehinderten Beschäftigten keine einseitige arbeitgeberseitige Entscheidung vorliegt. Gleichwohl soll nach der Rechtsprechung (so BAG, Urteil vom 14.03.2012, 7 ABR 67/10) die Unterrichtung der Schwerbehindertenvertretung über den Abschluss einer Aufhebungsvereinbarung mit einem schwerbehinderten Arbeitnehmer erforderlich sein, ohne dass sich daraus Auswirkungen auf die Wirksamkeit der Aufhebungsvereinbarung ergeben.



Zusammenfassung:


  1. Werden Personalmaßnahmen gegenüber schwerbehinderten Mitarbeitern erforderlich, ist immer die Schwerbehindertenvertretung im Vorfeld zu unterrichten und zu der beabsichtigten Maßnahme anzuhören.
  2. Unterbleibt die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung, ist eine gegenüber einem schwerbehinderten Mitarbeiter ausgesprochene Kündigung rechtsunwirksam.
  3. Unterbleibt eine Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung, sind andere Personalmaßnahmen zwar nicht unwirksam, aber auszusetzen. Die Beteiligung ist innerhalb von 7 Tagen nachzuholen und sodann endgültig zu entscheiden, sodass beteiligungslos ergangene Personalmaßnahmen als unverbindlich zu bewerten sind.


Haben Sie zu dieser oder anderen arbeitsrechtlichen Problemstellungen Fragen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Gern stehen wir zur Lösung Ihrer Rechtsfragen bereit.


Mit freundlichen Grüßen


Michael Koch
Fachanwalt für Arbeitsrecht