Arbeitsrecht 08.11.2018

+++ neueste Arbeitsrechtsnachrichten +++ kein automatischer Verlust des Urlaubsanspruches bei nicht gestelltem Urlaubsantrag +++ Top-Meldung vom EuGH +++ Arbeitgeber muss den Arbeitnehmer auffordern, den Urlaub zu nehmen und entsprechend belehren, da der Urlaub sonst am Jahresende nicht verfällt +++ EuGH, Urteil vom 06.11.2018, C-684/16 +++

Sehr geehrte Damen und Herren,


nachstehend informiere ich Sie über ein für das deutsche Arbeitsrecht aufsehenerregendes Urteil des EuGH, mit dem wieder einmal seit Jahrzehnten geltende Grundsätze auf den Kopf gestellt werden.


Der Fall:


Ein früherer Mitarbeiter der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften wurde von dieser vor dem Ende des Arbeitsverhältnisses gebeten, seinen Resturlaub noch rechtzeitig zu nehmen. Er wurde jedoch vom Arbeitgeber nicht verpflichtet, den Urlaub zu einem von der Gesellschaft festgelegten Termin zu nehmen. Die Arbeitgeberin beließ es also dem Arbeitnehmer, nach eigenen Vorstellungen die zeitliche Lage des Urlaubs vorzugeben. Der Arbeitnehmer nahm zur zwei Urlaubstage und beantragte nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses die Zahlung einer Vergütung für die nicht genommenen Urlaubstage. Dies lehnte die Max-Planck-Gesellschaft ab. Der Arbeitnehmer erhob deswegen Klage auf Urlaubsabgeltung der nicht in Anspruch genommenen Urlaubstage und bekam Recht.


Rechtliche Bewertung:


Der seit einigen Jahren neu besetzte 10. Senat des Bundesarbeitsgerichtes, der ausschließlich für Urlaubsangelegenheiten beim BAG zuständig ist, legte den Fall dem EuGH mit der Frage vor, ob die hier einschlägige Regelung des § 7 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG), wonach der Urlaubs- und der Urlaubsabgeltungsanspruch verfallen, wenn der Arbeitnehmer den Urlaub nicht vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses beantragt hat, gegen Unionsrecht verstößt.


Das deutsche Arbeitsrecht kennt seit jeher die sich aus § 7 BUrlG ableitenden Grundsätze, wonach der Arbeitnehmer seinen Urlaubsanspruch beim Arbeitgeber beantragen und im Gegenzug wiederum der Arbeitgeber den so beantragten Urlaub unter Berücksichtigung der Wünsche des Arbeitnehmers zur zeitlichen Lage und unter Beachtung der entsprechenden betrieblichen Belange zu gewähren hat. Das deutsche Arbeitsrecht kannte also bisher kein Initiativrecht des Arbeitgebers, das den Arbeitgeber verpflichtet, dem Arbeitnehmer bei drohendem Verfall der Urlaubsansprüche vorzuschreiben, dass und wann er den Urlaub zu nehmen hat. Kam es also bislang dazu, dass ein Arbeitnehmer seinen Urlaub nicht beantragt hat, verfiel dieser, sofern nicht der Inanspruchnahme des Urlaubs dringende betriebliche Gründe oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe entgegenstanden.


Das Urteil:


Der Europäische Gerichtshof warf die bisher in Deutschland praktizierten Grundsätze über Bord und legte fest, dass der Anspruch des Arbeitnehmers auf Urlaub oder Urlaubsabgeltung nicht etwa schon dann verfällt, wenn er für das Kalenderjahr keinen oder zu wenig Urlaub beantragt hat. Diese Ansprüche könnten nur dann untergehen, wenn der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber, etwa durch eine angemessene Aufklärung, tatsächlich in die Lage versetzt wurde, die fraglichen Urlaubstage rechtzeitig zu nehmen. Dafür sei der Arbeitgeber aber beweispflichtig. Diese für das deutsche Arbeitsrecht merkwürdige Entscheidung (nach hiesigem Verständnis muss der Inhaber eines Anspruches diesen Anspruch auch rechtzeitig geltend machen) begründet der EuGH mit dem sogenannten strukturellen Ungleichgewicht zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Arbeitsverhältnis. Obgleich Unterzeichner und mit ihm wohl viele Arbeitgeber, aber auch Arbeitnehmer keine Konstellation kennen, die dafür spricht, dass ein Arbeitnehmer auf Grund seiner Stellung im Arbeitsverhältnis sich etwa nicht traut, einen Urlaubsanspruch zu stellen, in der Regel ist das Gegenteil der Fall, meint der EuGH, das strukturelle Ungleichgewicht im Arbeitsverhältnis zur Begründung seiner Entscheidung heranziehen zu müssen.


Schlussfolgerungen:


Nachdem seit den Entscheidungen des EuGH und des BAG die Verfallfrist des 31.03. des auf das Urlaubsjahr folgenden Jahres bei krankheitsbedingter Nichtinanspruchnahme des Urlaubs bereits gekippt wurde, werden die vom Bundesgesetzgeber in § 7 genannten Fristen (Inanspruchnahme des Jahresurlaubs im laufenden Kalenderjahr bis zum 31.12.; längstmögliche Übertragung des Anspruches bis zum 31.03. des Folgejahres) weiter durch die Schaffung einer Initiativpflicht des Unternehmers, den Arbeitnehmer auf die Inanspruchnahme des Urlaubs im laufenden Jahr hinzuweisen und aufzuklären, aufgeweicht. Arbeitnehmer können künftig ohne Weiteres im laufenden Kalenderjahr nicht genommenen Urlaub auch in Folgezeiträumen in Anspruch nehmen. Es wird sich sogar soweit entwickeln, dass über längere Zeiträume nicht in Anspruch genommener Urlaub, also auch über mehrere Jahre ansammelt, wenn der Arbeitnehmer keinen entsprechenden Urlaubsantrag gestellt hat und der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht nachweisbar aufgefordert hat, den Urlaub zu nehmen und dafür entsprechende Urlaubszeiten zur Verfügung stellt.


Der Arbeitgeber dagegen muss über das Personalmanagement die kontinuierliche Inanspruchnahme des Urlaubs seiner Arbeitnehmer regelmäßig überprüfen und die Arbeitnehmer nachweisbar, d. h. vorzugsweise durch schriftliche oder elektronische Information auffordern, den Urlaub rechtzeitig in Anspruch zu nehmen und dafür Urlaubszeiten ausweisen. Es dürfte nach gegenwärtiger Lesart des Urteils nicht ausreichen, dass ein entsprechender Hinweis, verbunden mit der Aufklärung über den Verfall des Urlaubs im Arbeitsvertrag enthalten ist. Vielmehr muss der Hinweis sich konkret auf den noch offenen Urlaub im laufenden Kalenderjahr erstrecken und potenzielle Urlaubszeiten, die der Arbeitnehmer in Anspruch nehmen kann, ausweisen.


Wie dies im Einzelfall für jeden Arbeitgeber praktikabel und verantwortungsbewusst geschehen kann, sollte in einem arbeitsrechtlichen Beratungsgespräch abgestimmt werden.


Haben Sie dazu Beratungs- oder Regelungsbedarf? Bitte zögern Sie nicht und kontaktieren Unterzeichnenden unter info@koch-boikat.de oder telefonisch unter 03631/434990 oder 0173/3513782.


mitgeteilt von


Rechtsanwalt Michael Koch

Fachanwalt für Arbeitsrecht