Arbeitsrecht 30.10.2014

+++ Neues zur Überstundenproblematik +++ Bundesarbeitsgericht erleichtert die Darlegungslast des Arbeitnehmers im Überstundenprozess +++ BAG, Urteil vom 16.05.2012, 5 AZR 347/11 +++


Sehr geehrte Damen und Herren,

wie gewohnt, informiere ich Sie über die aktuelle Rechtsprechung im Arbeitsrecht. Die vorstehend aufgeführte Entscheidung wirkt sich auf die arbeitgeberseitige Dokumentation von Überstunden durch den Arbeitnehmer aus. Gegenstand des Verfahrens war eine Klage auf Überstundenvergütung eines Kraftfahrers für den Zeitraum des 1-Jahr bestehenden Arbeitsverhältnisses.

 

Sachverhalt

Der Kläger war als Kraftfahrer bei dem beklagten Arbeitgeber, der einen Schlachthof betreibt, vollzeitbeschäftigt. Er begehrte für die Dauer seiner Tätigkeit vom 14.04.2008 bis 13.04.2009 die Vergütung von ca. 1.000 Überstunden mit einem aus der Grundvergütung hergeleiteten Stundensatz von 6,35 €/brutto.

In dem Arbeitsvertrag war eine Grundvergütung von monatlich 1.100,00 € sowie weitere 5 variable Vergütungsbestandteile, die als freiwillige Zuschläge deklariert waren, festgelegt. Ferner war vereinbart, dass eventuelle Mehrarbeit mit dem Gehalt pauschal abgegolten sein sollte. Eine feste Arbeitszeit war nicht vereinbart. Dagegen war nur geregelt, dass sich der Beginn und das Ende der täglichen Arbeitszeit nach der betrieblichen Ordnung richtet.

In dem Überstundenprozess argumentierte der Arbeitgeber, dass die für den Straßentransport maßgeblichen Sonderregelungen des § 21 a Arbeitszeitgesetz (ArbZG) auch für die Behandlung der vertraglichen Arbeitszeit der Prozessparteien entscheidend wäre. Nach § 21 a Abs. 3 ArbZG sind Bereitschaftszeiten am Arbeitsplatz, Bereitschaftszeiten außerhalb des Arbeitsplatzes und Beifahrerzeiten im Fall der Doppelbesetzung des Lkw keine Arbeitszeiten im Sinne des Arbeitszeitgesetzes.

Der Arbeitnehmer hat arbeitstäglich die Zeiten von der Übernahme des Lkw im Unternehmen der Beklagten bis zur Übergabe des Lkw, wiederum im Unternehmen der Beklagten, saldiert. Diese Zeit wurde als Arbeitszeit gewertet und nach Gegenüberstellung zur Sollarbeitszeit von 40 Stunden/Woche, ohne Berücksichtigung von Ruhepausen, die keinen Vergütungsanspruch auslösen, als Überstunden geltend gemacht.

Dagegen wandte sich der Arbeitgeber mit der Argumentation, dass die Nichtangabe von Pausenzeiten schon exemplarisch für den unsubstantiierten Prozessvortrag des Arbeitnehmers sei. Ferner seien, auch ohne dass dies im Arbeitsvertrag ausdrücklich vereinbart wurde, Bereitschaftszeiten, Ruhezeiten und Beifahrerzeiten nicht als Arbeitszeit zu berücksichtigen.

 

Das Urteil

Das Bundesarbeitsgericht hat in der Sache am 16.05.2012, 5 AZR 347/11, eine Entscheidung gefällt, nachdem zuvor der Kläger im Berufungsverfahren vor dem Sächsischen Landesarbeitsgericht unterlegen war. Der Kläger hatte gegen das Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts am 14.10.2010 Revision eingelegt. Die Revision war vor dem Bundesarbeitsgericht erfolgreich.

Das Bundesarbeitsgericht hat zunächst zu verstehen gegeben, dass ohne ausdrückliche arbeitsvertragliche Vereinbarung die in der Ausnahmeregelung des § 21 a ArbZG geregelten Zeiten, nämlich Bereitschaftszeiten, Ruhezeiten und Beifahrerzeiten, gleichwohl als Arbeitszeiten gelten. Diese Zeiten können nur dann nicht als Arbeitszeiten gewertet werden, wenn durch Arbeitsvertrag unter Bezugnahme auf § 21 a ArbZG festgelegt ist, dass Bereitschafts-, Ruhe- und Beifahrerzeiten keine Arbeitszeit sein sollen.

Gleichzeitig befasste sich das BAG mit der Frage, ob die fehlende Angabe von Pausenzeiten in der Überstundenaufstellung des Arbeitnehmers dazu führen, dass die gesamte Aufstellung nicht plausibel ist. Dies verneinte das BAG. Die Nichtangabe von Pausenzeiten würde zunächst nur die Behauptung des Arbeitnehmers inplizieren, er habe solche Pausen nicht gemacht. Dazu müsse sich aber der Arbeitgeber im Überstundenprozess substantiiert einlassen.

In diesem Zusammenhang befasste sich das Bundesarbeitsgericht auch mit der Frage, in welchem Maße der Arbeitnehmer in dem Überstundenprozess die von ihm behaupteten Überstunden darlegen und beweisen muss.

 

Bisherige Rechtsprechung

Bislang war es Aufgabe des Arbeitnehmers, im Überstundenprozess jede einzelne Überstunde mit genauer Zeitangabe unter Verweis auf die für das Arbeitsverhältnis geltende Regelarbeitszeit tagesbezogen darzulegen. Ebenso musste der Arbeitnehmer darlegen, dass er in diesem Zeitraum vertraglich geschuldete Arbeiten erbracht hat und diese Arbeiten vom Arbeitgeber angeordnet oder zumindest aber gebilligt bzw. toleriert worden sind.

 

Rechtssprechungsmodifizierung

Das BAG hat mit seiner Entscheidung vom 16.05.2012 nunmehr judiziert, dass zwar grundsätzlich der Arbeitnehmer für die Leistung von Überstunden darlegungs- und beweisbelastet ist, dafür aber die gleichen Grundsätze gelten sollen, wie für die geschuldete (normale) Arbeit. Ausgehend von dem Grundsatz „ohne Arbeit kein Lohn“ müsse der Arbeitnehmer darlegen, zu welchen Zeiten er Arbeit verrichtet hat. Es würde aber genügen, wenn der Arbeitnehmer vorträgt, er habe sich zur rechten Zeit am rechten Ort bereitgehalten, um Arbeitsanweisungen des Arbeitgebers zu befolgen. Auf einen solchen Vortrag müsste der Arbeitgeber im Rahmen der sogenannten abgestuften Darlegungslast substantiiert erwidern.

Der Arbeitgeber hätte also im Einzelnen vorzutragen, welche Arbeiten er dem Arbeitnehmer zugewiesen hat und ob der Arbeitnehmer den Weisungen nachgekommen ist. Trägt der Arbeitgeber dagegen nichts vor oder lässt er sich nicht substantiiert auf den Vortrag des Arbeitnehmers ein, gelten die vom Arbeitgeber vorgetragenen Arbeitsstunden als zugestanden.

Diese so aufgestellten Grundsätze haben insbesondere dann eine besondere Bedeutung, wenn der Arbeitnehmer für lange zurückliegende Zeiträume (z. B. bis zu 3 Jahren) Überstunden geltend macht. In diesem Fall kommt es entscheidend darauf an, ob der Arbeitgeber über Aufzeichnungen verfügt, die noch im Einzelnen tagesgenau belegen, ob der Arbeitnehmer gearbeitet hat, welche Arbeiten er verrichtet hat und in welchen Zeitsegmenten dies geschehen ist.

Nur wenn der Arbeitgeber dementsprechend über eine gute Arbeitszeitdokumentation verfügt, kann er in einem solchen Arbeitsgerichtsprozess auch bestehen.

 

Schlussfolgerungen

1.) Für den Bereich des Straßentransports gilt als oberste Priorität die arbeitsvertragliche Vereinbarung, dass Bereitschaftszeiten, Ruhezeiten und Beifahrerzeiten im Sinne des 21 a ArbZG keine vertraglichen Arbeitszeiten darstellen. Wird dies nicht arbeitsvertraglich vereinbart, läuft der Spediteur Gefahr, neben den ohnehin bestehenden Konkurrenzdruck im Speditionsgewerbe sich überbordenden Überstundenvergütungsansprüchen machtlos ausgesetzt zu sehen. Spediteure sollten daher dringend ihre Arbeitsverträge unter diesem Aspekt überprüfen.

2.) Generell sollte eine Arbeitgeber bezogene Arbeitszeitdokumentation eingeführt werden, die auch so gestaltet werden kann, dass der Arbeitnehmer verpflichtet wird, seine Arbeitszeiten täglich zu dokumentieren und diese Dokumentation wöchentlich beim Arbeitgeber oder Dienstvorgesetzten abzugeben.

 

Fazit

Das Bundesarbeitsgericht zeigt ein weiteres Mal die Dynamik seiner Rechtsprechung. Daraus folgt für den Arbeitgeber, dass er Getreu dem Prinzip „wer schreibt, der bleibt“, sein Personalmanagement zur Dokumentation von Arbeitszeiten anhalten muss, um in Überstundenprozessen bestehen zu können.

Sollten Sie bei der Anpassung von arbeitsvertraglichen Vereinbarungen oder bei der Behandlung von Überstunden anwaltlicher Beratung bedürfen, steht Unterzeichner selbstverständlich wie gewohnt gern zur Verfügung.